1944

Der Fachverband

Es war erstaunlich, wie man sich dagegen wehrte zugeben zu müssen, daß es eigentlich gar keine real existierende Bühnentechnische Gesellschaft mehr gab. Außer dem einsam in Ostin residierenden Vorsitzenden und gleichzeitigem Schriftleiter, Herrn Prof. A. Linnebach, gab es nur noch wenige Altkollegen, welche sich neben ihrer Tagesarbeit ein ganz klein wenig mit den Nöten und Sorgen der deutschen Bühnentechnik befassen konnten.

Von der BTR gab es im Berichtsjahr nur noch ein Doppelheft 1, welches im Mai erschien. Es war das letzte Heft, welches im Krieg herausgegeben werden konnte. Mit diesem einen Heft hatte sich Linnebach noch einmal Mühe gegeben und einige interessante Artikel zusammengestellt. Der in Köln residierende Universitätsprofessor für Theaterwissenschaft Prof. Dr. Carl Niessen hatte sein fünfundzwanzigjähriges Dozentenjubiläum und aus diesem Anlass war, trotz des Krieges, der 3. Band des von ihm verfaßten Handbuches der Theaterwissenschaft erschienen. Durch sein lebhaftes Interesse für die Theatertechnik war er seit langem im Kreise der Bühnentechniker bekannt und hatte wiederholt an der BTR mitgearbeitet. In diesem Heft wurde der alleinige Vorabdruck dieses 3. Bandes begonnen.

Dipl.-Ing,W. Unruh gab unter dem Titel:“ Theater auf dem Konzertpodium am Beispiel von Aufführungen der Hamburgischen Staatsoper in der Hamburger Musikhalle“ Dekorationsdetails bekannt. Es wurde damit aus der Not eine Tugend gemacht, denn die oft übersteigerte Ausstattungssucht der letzten Jahre wurde durch diese Behelfe in natürlichster Form gebremst.

Ernst Wagenbauer, berichtete im gleichen Heft in Fortsetzung über den Aufbau des technischen Betriebes des Reichsgautheaters Posen und über die dort eingerichteten Lehrwerkstätten für Theaterberufe.

Zu dem Thema, Der selbsttätige Lichtablauf im Bühnenbetrieb von Lamey und den darauf antwortenden Artikel des Ingenieurs Johannsmeyer der Firma Siemens äußerte sich der bei der AEG- Berlin beschäftigte Oberingenieur Erich Thormann. Obwohl sich nach heute noch existierenden Unterlagen auch die AEG seit 1937 mit elektrischen Regler- und Lichtsteuerungen befaßt hatte, hing Thormann seinen großen Erfolgen der zwanziger und dreißiger Jahre mit der Fortuny-Be- leuchtung nach und konnte sich mit diesem modernen technischen Utopien nicht anfreunden.Wel- che Konstruktionen kompliziertester Art würden da in Vorschlag gebracht, auf welche technischen Hilfsmittel müsse zurückgegriffen werden, um zu einem oft nur scheinbaren Ziel zu ge langen. Bei dem Fortuny-System wäre alles bereits praktisch zur Anwendung gelangt, alle Gerä- te würden motorisch betätigt, sogar die Kohlenverstellung der verwendeten Bogenlampen er- folge motorisch. Besonders durchgebildete Steuerungsgeräte betätigten diese Motoren. Fernmeldungen zeigten die Stellungen aller Geräte an, die einzelnen Lichtstellungen würden registriert und weitere Lichtszenen voreingestellt. Die gesamte Steuerapparatur sei transportabel, so dass der Beleuchtungsmeister diese als tragbares Pult mit in den Zuschauerraum nehmen könne, um von dort aus Korrekturen an der Bühnenbeleuchtung zu tätigen.

In der Zeit des reinen Kulissentheaters frönte man der additiven Beleuchtungsmethode und auch der auf diesem Prinzip beruhenden Fortuny Beleuchtung – Nun war mit der Einführung der subtraktiven Beleuchtungsmethode, der dreidimensionalen Ausleuchtung mit einer Vielzahl einzelner Scheinwerfer, das Fortuny – System nicht mehr an den Mann zu bringen und der Autor schrieb weiter:

seit geraumer Zeit sind Anstrengungen getätigt worden, um das bisher bekannte und überall verwendete Bühnenstellwerk zu vereinfachen oder ganz in Fortfall zu bringen und durch ein rein elektrisches System zu ersetzen. Damit sollen die 40 Jahre alten (Fortuny) Ideen in an- derer Form verwirklicht werden.

Dass all das auch mit der Verbandsarbeit, beziehungsweise mit der Geschichte des Verbandes zu tun hat beweist, dass von jeher eine enge, notwendige Zusammenarbeit zwischen den in der Veranstaltungspraxis stehenden Technikern und den Ingenieuren und Entwicklern der einschlä- gigen Industrie stattgefunden hat. Eines war ohne das Andere nicht denkbar.

Personalien

Unter der Rubrik Persönliches ist unter anderem zu lesen, dass im Februar der 1 Technische Direktor Max Hasait – Dresden, seinen 70. Geburtstag feierte. Emil Pirchan, Professor und Leiter der Meisterschule für Bühnenbildnerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, den 25. Gedenktag seines Eintritts in die Theaterwelt, und dass Traugott Müller, der Bühnenbildner der Preußischen Staatstheater in Berlin, im 48. Lebensjahr verstarb.

Theatergeschichte

Im Theatergeschehen lief innerhalb Deutschlands, soweit die Theater noch spielen konnten, ein von ständigen Luftalarmen unterbrochener Spielbetrieb. Beschädigte Häuser wurden mit großen Mühen des noch vorhandenen Personals und überall fehlendem Material einigermaßen wie- der hergerichtet. Dabei ging es in den besetzten Gebieten den neu oder wieder spielfertig hergerichteten Theatern im Verhältnis wesentlich besser.

Aufgrund der immer stärker werdenden Beeinträchtigungen der Theaterarbeit durch die Aus- wirkungen des totalen Krieges, wurde von Joseph Goebbels Anfang September die Schließung aller deutschen Theater, sowohl im Heimatgebiet als auch in allen noch bestehenden Besat- zungsgebieten angeordnet. Das bisher in diesen Betrieben noch tätige Personal wurde, soweit nicht zum Volkssturm oder Militär eingezogen, sofort in die Rüstungsindustrie abkommandiert.

Damit hatte das deutsche Theater aufgehört zu bestehen und somit auch alles, was mit ihm zusammenhing, wie DBG, BTR, Reichstheaterkammer…

Das Umfeld

Hitlers Festung Europa ging im Jahr 1944 unter. Im Juni landeten amerikanisch-britische Armeen an der Küste der Normandie: Die große und schon angekündigte Invasion unter dem Oberbefehl des US-Generals Eisenhower begann. Eine Armada von 4.000 Schiffen überquerte den Kanal. Starke Luftlandeverbände wurden hinter den deutschen Stellungen abgesetzt. Die al- liierten Streitkräfte wurden von über 11.000 Flugzeugen aus der Luft unterstützt. Schon im September 1944 erreichten die Alliierten die Reichsgrenze.

Im Osten zerschlugen sowjetische Truppen im Juni die Heeresgruppe Mitte und erreichten kurz darauf die Reichsgrenze in Ostpreußen. Im August wechselte Rumänien angesichts der Überlegenheit sowjetischer Truppen die Front, im September folgte auf gleichem Wege Bulgarien. Nun mußten auch Griechenland und Jugoslawien überstürzt von den deutschen Truppen geräumt werden.

Mitte des Jahres wurde Graf Schenk von Stauffenberg als Stabschef Befehlshaber des Ersatzheeres. Hierdurch erhielt er die Möglichkeit, einen legalen Plan gegen innere Unruhen mit Ausnahmezustand und Übernahme der Staatsgewalt durch die Armee zu nutzen: das Unternehmen Walküre. Stauffenberg nahm Verbindung zu aktiven Vertretern der politischen Linken auf. Er wollte – anders als der konservative Kreis um Goerdeler – einen deutschen Sozialstaat. Hitler hielt sich zumeist in seinem Führerhauptquartier auf, das sich seit Mitte 1944 in der Wolfsschanze in Ostpreußen befand. Stauffenberg konnte als einziger vom engeren Verschwörerkreis an Hitlers La- gebesprechungen teilnehmen. So wurde er mit dem Attentat beauftragt. Es gelang ihm am 20. Juli eine Aktentasche mit Sprengstoff in der Nähe Hitlers abzustellen und nach Berlin zurückzu- fliegen. Durch einen Zufall überlebte Hitler, kaum verletzt. Stauffenbergs entschlossener Versuch mißlang. Am Abend des gleichen Tages wurde er mit seinen engsten Mitarbeitern erschossen. Eine neue Verhaftungswelle rollte über ganz Deutschland, die außer den Verschwörern und ih- ren Familienangehörigen auch andere Gegner des Regimes erfaßte. Nach Verfahren für Hoch- und Landesverrat wurde ein Teil der Verschwörer in der Hinrichtungsstätte Plötzensee in Berlin an Fleischerhaken aufgehängt. Die nationalsozialistische Propagandamaschinerie versuchte immer wieder den  Endsieg als nicht mehr so fernliegend zu beschwören. So nutzte sie die Forderung der Alliierten nach der bedingungslosen Kapitulation und die schrecklichen Luftangriffe weitgehend aus, um den Menschen einzureden, dass der Kampf der Feinde ausschließlich dem deutschen Volke gelte. Unter diesem Aspekt wurden 15-jährige männliche Jugendliche, 60-jährige und ältere Männer als Volkssturm an die Front geschickt, welche immer näher auf die alten Reichsgrenzen zukam. Man verlangte die Verteidigung jedes Ortes als Festung; Bürgermeister oder andere leitende Gemeindevorstände, die sich diesem Befehl widersetzten und versuchten ihre Orte dem Feind kampflos zu übergeben, wurden standrechtlich erschossen.


BTR Ausgaben 1944

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Heft 01 und 02