1974

Der Verband

Die 39. Bühnentechnische Tagung fand im Jahr 1974 in Darmstadt statt. Sie umfasste neben den Tagen mit den Fachvorträgen auch Versammlungen verschiedener Arbeitsgruppen (ATuV der GDBA) und Gremien und dauerte insgesamt fünf Tage! Die Teilnehmergebühr betrug 20,00 DM.

Das Hauptthema lautete: Sind unsere Theater zu groß?

Der Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt hatte in seinem Vortrag aber weit weniger die Größe der Bühne oder technischen Betriebsräume im Blick als die Größe des Zuschauerraumes insbesondere unter dem Eindruck schwindender Besucherzahlen.

Es ist zum Beispiel merkwürdig genug, dass Regie-Intendanten heute rascher in Krisen zu geraten scheinen als früher.

schreibt er und fragt, ob Intendanten zugleich auch Regisseure sein müssen:

Ein Intendant, der nicht inszeniert, aber gute Inszenierungen bringt, wird jedem etwas bringen. Wenn das Theater Erfolg hat, hat auch der Intendant Erfolg; dieser Satz gilt in Bezug von Regie-Intendanten keineswegs auch umgekehrt. Im Grunde genommen ist der Regie-Intendant heute ein Relikt aus den Zeiten der Prestige-Konkurrenz von Städten unter Einsatz des Theaters.

Im weiteren Verlauf seines Vortrages ging er allerdings auch auf die Bühnenverhältnisse ein und plädierte für die Etablierung mehrerer Spielstätten bei Mehrspartenhäusern. Häuser, bei denen so sparsam beim Bau vorgegangen wurde, seien unwirtschaftlich und teuer im Betrieb.

Diese und weitere Fragen wurden durch drei weitere Vorträge ausgiebig diskutiert und sind in der BTR Heft 4/1974 nachzulesen.

Nach dem Tod von Walter Unruh war Walter Huneke zum Vorsitzenden des Verbandes gewählt worden, sein Stellvertreter wurde Helmut Großer. Beide hatten Walter Unruh vor seinem Tode noch den Linnebach-Ring übergeben können.

Im Bericht über die Aktivitäten des Jahres 1973 wurde den Mitgliedern auf der Jahreshauptversammlung folgendes berichtet:

Der Schwerpunkt des Jahres 1973 lag in den Vorbereitungsarbeiten und in der Durchführung internationaler Veranstaltungen der OISTT, zum Beispiel des Bühnenbildnertreffens vom 26. bis 29. Mai in Recklinghausen, unter dem Motto Szenographie und Kritik. Die Presse nahm von der Veranstaltung rege Notiz. Die Referate wurden gesammelt und den einzelnen Ländersektionen zugestellt. Ein weiterer Schwerpunkt war der 3. Internationale OISTT Kongress in Avignon vom 17. bis 22. Juli, an dem zehn Mitglieder aus der Bundesrepublik teilnahmen. Gäste der 1. Bühnentechnischen Tagung des Schweizer Bühnentechnikervereins (SBT), vom 25. bis 26. August in Bern, waren der Geschäftsführer Himstedt-Alexander, als Vertreter des Vorstandes der DThG, der Seminarleiter Schott, der über die Arbeit des Seminars Recklinghausen berichtete und Chefmaskenbildner Helmut Klute, der über neue Möglichkeiten und über neues Arbeitsmaterial für die Arbeit der Maskenbildner referierte. Auf Einladung der Sektion USA der OISTT und finanziert durch zahlreiche Universitäten der Vereinigten Staaten fand vom 29. Oktober bis 5. Dezember eine Vortragsreise des Vorstandsmitgliedes Helmut Großer durch elf Universitäten und fünfzehn Städte der USA statt. An den Meisterklassen nahmen Studenten aus insgesamt 60 Universitäten teil. In jeder Stadt fand ein öffentlicher Vortrag über Das System des Repertoire-Theaters in der Bundesrepublik statt.
Vorstandssitzungen der DThG gab es am 31. Januar in Essen und am 4. Oktober in Darmstadt.

Beim Thema Berufsbildung konzentrierten sich die Bemühungen auf die Ausbildung von Theatermalern und Maskenbildnern durch die Erarbeitung bzw. Novellierung von Prüfungsordnungen.

Der Fachnormenausschuss Theatertechnik (FNTh) berichtete über folgende Aktivitäten: Neufassung einer Norm für Bezeichnungsschilder für Scheinwerfer und eine im Auftrag der VDE 0710; den Norm-Entwurf DIN 56920 Blatt 7 Theatertechnik; Begriffe für Podestarten und Blendern wurde zum Druck als Norm verabschiedet. 

Darüber hinaus wurde beschlossen, zur Entlastung des derzeitigen Vorsitzenden Perrottet einen Stellvertreter zu benennen. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit, der engen Kontaktnahme und des damit verbundenen nicht unerheblichen Schriftverkehrs einschließlich niedrigst zu haltender Unkosten, wurde Herr Bernd Hüther von den Städtischen Bühnen Frankfurt/Main einstimmig gewählt.

Perrottet selbst wies noch einmal eindringlich auf die Situation der durch das Gesetz über technische Arbeitsmittel (Maschinenschutzgesetz) und der damit zusammenhängenden Durchführungsbestimmungen entstandenen rechtlichen Sachlage für alle Technischen Vorstände in Theatern usw. hin. Die Kollegen sollten sich in Zukunft intensiver als bisher mit den sicherheitstechnischen Festlegungen in Normen und VDE-Bestimmungen usw. vertraut machen, um bei auftretenden Zwischenfällen gegenüber den Behörden hieb- und stichfest argumentieren zu können. 

Der Jahresbericht über das Seminar für Theatertechnik konnte von Erfolgen berichten:

Der 7. Lehrgang wurde von 19 Teilnehmern absolviert. Alle Bewerber bestanden Ende Juni 1973 die Prüfung bei der Prüfstelle Darmstadt. Es waren 6 Theatermeister, 7 Beleuchtungsmeister, 2 Studiomeister und 4 Fernsehbeleuchtungsmeister. Der jetzt laufende 8. Lehrgang hat 30 Teilnehmer. Es sind 12 Theatermeister, 8 Studiomeister, 7 Beleuchtungsmeister und 3 Fernsehbeleuchtungsmeister, also 19 Theater- und 11 Fernsehtechniker. Die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen ist inzwischen so gut und so selbstverständlich, daß die Lehrgänge für beide Interessentengruppen voll integriert werden konnten. Der Etat 1973 schließt mit 137.600,00 DM ausgeglichen ab. Er überstieg die Plansumme um 11.000,00 DM, bedingt durch Mehrausgaben für den Fernsehbereich. Diese Mehrausgaben wurden durch entsprechende Mehreinnahmen aus dem gleichen Bereich gedeckt. Der Etat für 1974 wird voraussichtlich bei Einnahmen und Ausgaben mit 148.500,00 DM abschließen.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit besonders von Helmut Großer stand allerdings die internationale Arbeit. Vom 7. bis 11. Januar 1974 besuchte er in Prag ein Treffen der Programmkommission der OISTT. Im Resümee bedauerte man, dass es nicht gelang, im Plenum lebendige Diskussionen zu führen, und dass das ungenaue Kongressthema Licht und Ton im theatralischen Raum zu äußerst unbestimmten Interpretationen verführte. Es bestand außerdem keine Verbindung zwischen den Kommissionsthemen und der isolierten Kommissionsarbeit einerseits und dem Plenum andererseits. Es wurde auch bedauert, wie wenig die Ereignisse und Veranstaltungen des Festivals in Avignon in den Kongress der OISTT einbezogen werden konnten. Aus diesen Anmerkungen kann man schließen, dass die Arbeit der OSTT an verbesserter Koordination bedurfte.

Theatergeschichte

Die Bühnentechnische Rundschau berichtete 1974 wiederum über die wichtigsten Theaterneu- und -umbauten. Dazu zählt ein umfassender Bericht über den Theaterneubau in Würzburg (1/1974), das Congress Zentrum Hamburg, das Nationaltheater Bukarest, das Kulturzentrum „d‘Oosterpoort“ in Groningen, die Oper in Sydney, das Luxor-Theater in Rotterdam sowie die Rekonstruktion des Smetana Theaters in Prag.

Sehr ausführlich wurde über einen tödlichen Unfall, der sich in einer Vorstellung der Oper Köln ereignet hatte, berichtet:

Pressenotiz der Generalintendanz vom 2. Januar 1974: Bei der Aufführung „Der Bettelstudent“ am 1. Januar 1974 im Opernhaus der Bühnen der Stadt Köln stürzte der Bariton Wolfgang Anheißer von einer 3,50 m hohen Brüstung herab. Ein Absprung aus dieser Höhe von einem Balkon ist in dieser Inszenierung vorgesehen. Er wurde jedesmal durch eine technische Vorkehrung gesichert. Durch ein technisches Versagen mißlang dieser Sprung. Wolfgang Anheißer stürzte auf den Bühnenboden und wurde schwer verletzt. Die notwendige sofortige Überführung in die Chirurgische Abteilung der Universitätskliniken wurde veranlaßt. Der Sänger wurde in der Nacht noch operiert. Sein Zustand ist ernst. Die Untersuchung über die Ursachen des Unfalls ist von den zuständigen Stellen aufgenommen worden. Die Aufführung des „Bettelstudent“ war die 35. dieser Inszenierung. Wolfgang Anheißer sang zum zehnten Mal die Partie des Jan in Köln. 

Der Sänger war darauf im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzung gestorben. Die akribischen Untersuchungen ergaben ein Fehlverhalten eines Bühnentechnikers. Auch durch den Umstand, dass dieser Techniker ein Tunesischer Gastarbeiter war, ließen die Diskussionen um die notwendige Qualifizierung des technischen Personal einerseits und die Verantwortung der bühnentechnischen Vorstände andererseits hohe Wellen schlagen. Die Untersuchungen zogen sich über mehrere Monate hin und wurden durch Helmut Großer in der BTR (2/1974) umfassend dokumentiert. Wohl auch deshalb sah sich Adolf Zotzmann veranlasst, in einem Leitartikel das Thema Unfallschutz am Theater nochmals grundsätzlich aufzugreifen.

Die Qualifikation der Meister wurde auch 1974 wiederholt thematisiert. Neben einem Artikel von James Klein Der Theatertechniker angesichts der Realität und Fred Hildebrandt Die Situation der Meister an den deutschen Theatern wurde auch ein Text der in der DDR erscheinenden Zeitschrift Theater der Zeit von Martin Linzer veröffentlicht.

Die BTR erscheint bei einem neuen Verlag

Ende 1974 erscheint zum letzten Mal die Bühnentechnische Rundschau im Klasing Verlag. Nach 25 Jahren ging damit ein wichtiger Zeitabschnitt zu Ende.

In der BTR 6/1974 ist zu lesen:

Heute vor 25 Jahren erschien bei Klasing in Berlin das erste Heft der neuen Reihe der Bühnentechnischen Rundschau. Und das vorliegende Heft, das Sie, lieber Leser, nach 25 Jahren in der Hand haben, ist auch das letzte, das vom bisherigen Verlag versandt wird. Nicht, daß Sie künftig auf die BTR verzichten müßten, sie erscheint weiter, nur kommt sie nicht mehr aus Berlin, sondern aus Velber bei Hannover, aus dem Friedrich Verlag, der auch die Zeitschriften „Theater heute“ und „Opernwelt“ herausgibt. Die Schriftleitung der Bühnentechnischen Rundschau aber bleibt weiter in den Händen von Helmut Großer. Fast könnte man sagen: bis auf die Adresse ändert sich für den Leser gar nichts. Warum also die Änderung. An anderer Stelle verraten wir, auf welche sonderbare, fast zufällige Weise die BTR zu ihrem bisherigen Verlag Klasing gekommen ist. War es ein Zufall, so war es ein glücklicher Zufall. Ein Theatertechniker von seltener Weitsicht, Walther Unruh, stieß bei Klasing nicht nur auf einen für seine Ideen sehr interessierten Verlag, sondern auch auf einen Verlagsleiter, der von den Plänen des Redakteurs fasziniert war. Dieser Verlagsleiter war Kurt Kothe, der heute im 73. Lebensjahr in den verdienten Ruhestand geht, nachdem er seinem Verlag 48 ½ Jahre die Treue gehalten hat. 25 Jahre davon hat er in Berlin völlig selbständig der BTR als verlegerischer Betreuer gedient und hat als Umbruchredakteur wesentlich zu ihrem Gesicht beigetragen. Trotz knapper Mittel war er von Anfang an bemüht, dieser Zeitschrift und ihren Freunden zu einem ehrlichen Erfolg zu verhelfen. Und neben Walther Unruh ist es ihm zu verdanken, daß sich ein Fachblatt entwickelte, welches mehr und mehr Ansehen und Geltung in allen Ländern der Welt gewann, in denen Theater gespielt wird, und in denen es so etwas wie eine Theatertechnik gibt. Nun danken wir ihm und verabschieden uns mit ihm gemeinsam von unseren treuen Lesern, weil nur auf einem Höhepunkt des Schaffens der Mut zum Verzicht und das In-die-Hände-Jüngerer-legen sinnvoll ist. Wir sind sicher, daß der Friedrich Verlag, der sein Programm an Theaterzeitschriften vom nächsten Jahre ab auf das Gebiet der Theatertechnik erweitert, im Verein mit dem bisherigen Schriftleiter die Bühnentechnische Rundschau in dem Geiste fortführen und mit dem Elan ausbauen wird, mit dem sie einst in ein neues Leben gerufen wurde.
Verlag Klasing & Co. 


BTR 1- 1974


BTR 2- 1974


BTR 3- 1974


BTR 4- 1974


BTR 5- 1974


BTR 6- 1974