1907

Der Fachverband

Am 17. und 18. Juni 1907 findet in Wiesbaden die erste ordentliche Hauptversammlung als konstituierende Sitzung des Verbandes Deutscher BŸühneningenieure und – Techniker, Sitz Wiesbaden unter der Leitung des ersten Vorsitzenden, Oberinspektor Hofrat Carl August Schick statt. Der Verband hatte zu Beginn 41 Mitglieder von denen 16 auf dieser Hauptversammlung anwesend waren.

Die Ziele des jungen Verbandes wurden in den Beratungen mit folgenden Themen behandelt: Hebung des Ansehens des technischen Bühnenberufes – die Verantwortlichkeit des Bühnentechnikers im Betrieb und die daraus zu folgernden Rechte – Schutz des geistigen Eigentums – gewissenhafte Ausbildung des Nachwuchses. Außerdem wurden die Ziele durch ein Referat des Maschinerie-Direktors Julius Klein vom Hoftheater (Oper) München treffend geschildert:

Es gibt wohl selten im heutigen Erwerbsleben einen Beruf, Ÿüber dessen Aufgaben und Leistungen die Öffentlichkeit so wenig unterrichtet ist, wie den des Bühnentechnikers. Welch große Anforderungen werden aber gerade an diesen gestellt. – Er muss Künstler sein in jeder Beziehung und ein reiches Empfinden haben, um sich jeweils in den Ideen der Autoren zurechtzufinden. Er muss ein vollendeter Techniker sein, denn wohl selten treffen so viele Zweige der Technik auf einem Punkt zusammen, wie auf der Bühne. Neben alledem muss ein technischer Leiter erfinderische Begabung besitzen, denn gerade auf der Bühne heisst es, wie nirgends wo anders, mit Wenig – Viel, mit Kleinem – Großes zu leisten. Zu all diesen Anforderungen kommt nebenbei noch die große Verantwortlichkeit für die Sicherheit des Personals und der Darsteller, auch im Bezug auf Feuersgefahr, und die Sorge für das teure, wertvolle Material. Infolge der großen Verantwortung ist es notwendig, dass er eine selbstständige Stellung einnimmt“.

In seinen weiteren Ausführungen wies er daraufhin, daß die vornehmste Aufgabe des Verbandes die Heranbildung geeigneter Kräfte ist und durch Gründung einer Vermittlungsstelle den so herangebildeten jungen Bühnentechnikern die Möglichkeit geboten werden sollte, eine standesgemäße Anstellung erlangen zu können.

Die Herausgabe einer Fachzeitschrift, in welcher bühnentechnischen Angelegenheiten erörtert und fachmännische Ratschläge erteilt werden, wurde als unabweisliche Notwendigkeit erkannt. Ein erfreuliches Zeichen war es, dass der Generalintendant der Königlichen Schauspiele zu Berlin, Exzellenz von Hülsen (vorher Chef in Wiesbaden und somit Schick’s Vorgesetzter) das Protektorat für den Verband übernahm. – Ein weiterer Tagesordnungspunkt war ein Antrag des Maschinerie-Direktors Groß aus Stuttgart: Der Verband wolle zukünftig allen für den bühnentechnischen Beruf neu heranzubildenden Anwärtern folgenden Bildungsgang vorschreiben:

  1. Das Berechtigungszeugnis zum einjährigen Militärdienst.
  2. Technisches Praktikum von mindestens einem Jahre, möglichst in Maschinenbau und Elektrotechnik.
  3. Besuch eines Technikums und entsprechendes Abgangszeugnis.
  4. Mindestens einjährige Bühnenpraxis.

Diese Forderungen hatten viele Jahre Bestand. Mit Ausnahme des ersten Punktes galten sie für die Ausbildung als technischer Bühnenvorstand in derselben Form noch bis zu Beginn des zweiten Weltkriegs.

Nach Diskussion und Abstimmung über die vorstehend aufgeführten Themen der Tagung wurde die Herausgabe eines Verbands Mitteilungsblattes beschlossen welches den Mitgliedern und der …Öffentlichkeit als Brücke zur Verständigung dienen sollte. Als verantwortlicher Schriftleiter wurde der erste Vorsitzende des Verbandes Herr Oberinspektor Hofrat C. A. Schick gewählt, weil bei ihm aus der bisherige Arbeit heraus sowieso alle FäŠden zusammenliefen, und er damit füŸr eine solche Arbeit prädestiniert erschien. Er Ÿübernahm somit als erster Schriftleiter diese Arbeit.

Als Name für diese Verbandsmitteilungen wurde BüŸhnentechnische Rundschau festgelegt. Erscheinungstag der ersten Ausgabe des Blattes war der 1. Oktober 1907. Folgendes Geleitwort wurde ihm mit auf den Weg gegeben:

Unsere Bühnentechnische Rundschau soll ganz den Interessen des Bühnentechnischen Berufes gewidmet sein; will im Verkehr der Mitglieder untereinander, als berufene Sprecherin vermitteln, kollegiale Beziehungen herstellen, dann vor allem durch den sachlich-technischen Teil, dem ein breiter Raum gelassen ist, gegenseitige Anregungen geben und in besonderer Rubrik die Urheberschaft eigener Ideen festlegen. – Zur Ausführung dieses Programmes bedürfen wir nun selbstverständlich einer regen Mitarbeiterschaft und wir appellieren an die Herren Verbandsmitglieder uns darin in tatkräftigster Weise zu unterstützen. Jeder, auch der kleinste Beitrag, sofern er den Interessenkreis des Bühnentechnikers berührt, ist willkommen und bereichert den Inhalt der Zeitung. Ermuntert durch das Vertrauen der Verbandsmitglieder, Ÿübergeben wir nun die Bühnentechnische Rundschau einem verehrlichen Leserkreis und wir hoffen, dass sie allseitigen Beifall findet; sollte einzelnes unvollkommen erscheinen, so bitten wir um geneigteste Nachsicht; für verbessernde Vorschläge sind wir stets dankbar.

In dieser ersten Nummer der BTR erfolgte ein ausführlicher Bericht über die konstituierende Sitzung des Verbandes im Juni in Wiesbaden. Dass ein Interesse am Erscheinen der neuen Zeitschrift gegeben war, zeigte sich an einem Schreiben des damals in Weimar tätigen Hoftheater-Regisseurs Max Grube, der unter anderem Folgendes schrieb:

Der Zufall spielt mir soeben die erste Nummer Ihrer Bühnentechnischen Rundschau in die Hand – famos! Das fehlte uns längst, so ein Blatt brauchen wir! Ich begrüße Sie freudig zu dieser Idee! – Glück auf Ihren Bestrebungen, die uns Regisseuren in erster Linie zu Gute kommen werden, denn heute können wir die künstlerische Mitarbeit des gebildeten und kenntnisreichen Bühneningenieurs gar nicht mehr entbehren.

Der Erfolg der ersten Ausgabe der BTR veranlasste Schick zur Herausgabe der zweiten Nummer des Blattes bereits im Folgemonat, dem November 1907, und einer dritten Nummer im Dezember 1907. Im Inhalt dieses dritten Heftes gab es das Ergebnis einer Rundfrage: Die Fortschritte der modernen Bühnendekoration, welche stark beachtet wurde. €Äußerungen dazu sandten u. a. ein: Ernst von Wildenbruch, Georg Hirschfeld, F.v. Zobeltitz, Ludwig Fulda, Max Halbe, sowie Freiherr von Berger und Siegfried Wagner.

Mit dem Erscheinen einer Fachzeitschrift war man in Wiesbaden den Berlinern einen Schritt voraus. Diese versuchten weiterhin eine bereits vorhandene Zeitschrift, welche in etwa der vorgegebenen Richtung der Vereinigung entsprach, zu finden.

Bei den Recherchen zum Berichtsjahr 1907 fiel auf, dass trotz der bereits im Jahre 1906 erfolgten Gründung beider Fachgruppen in Berlin und Wiesbaden keinerlei Notiz in den einschlägigen fachlichen Zeitschriften erschien. Selbst der jährlich erscheinende Neue Theater Almanach der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger für das Jahr 1907 enthält keinerlei Hinweise auf diese Gründungen. Die Erklärung kann in der Erscheinungsweise dieses Jahrbuches liegen. Der Redaktionsschluss liegt auch heute noch am Beginn der Spielzeiten im September.

Bleibt für das Jahr 1907 noch zu vermelden, dass am Ende der ersten Hauptversammlung des Wiesbadener Verbandes im Juni des Jahres, der Termin für die nächste Vollversammlung am 8. und 9. Juli 1908 in München, festgelegt wurde.

Chronik des Theaters und seiner Technik

In Kiel wird im Jahr 1907 das Opern- und das Schauspielhaus nach zweijähriger Bauzeit als Bühnen der Stadt in Betrieb genommen, wobei das Opernhaus neu erbaut wird, während das Schauspielhaus aus dem ehemaligen Gebäude des Schillertheaters hervorgeht, welches dem zukünftigen Verwendungszweck entsprechend umgebaut wird. Beide Häuser dienen ihrem jeweiligen Zweck bis zur Zerstörung im zweiten Weltkrieg.

Im Jahr 1907 wird in Gießen von den Architekten OŸlfer, Fellner und Mayer ein neues Stadttheater in reinem Jugendstil erbaut, welches am 27. Juli 1907 unter der Leitung von Direktor, Hofrat Hermann Steingoetter mit dem Zerbrochenen Krug von Heinrich von Kleist und Wallensteins Lager von Friedrich Schiller zunächst als reines Schauspieltheater eröffnet wird. Erst ab der Spielzeit 1932/33 wird dem Haus auch eine musikalische Abteilung für Oper, Operette, Singspiel und Ballett, sowie Sinfoniekonzerten angegliedert, so dass es dann als Mehrspartenbetrieb weitergeführt werden kann.

Nach Abriss des sogenannten zweiten Komödienhauses in Weimar, wird von 1907 bis 1908 an gleicher Stelle von der Firma Heilmann & Littmann das neue Hoftheater, später Deutsches Nationaltheater Weimar, mit der Besonderheit auf 1860 Eichenpfählen gegründet worden zu sein, errichtet.

Das Umfeld

In Den Haag tritt im Jahr 1907 eine zweite Friedenskonferenz zusammen um Formen für die internationalen politischen Beziehungen zu finden. – Auf technischem und wirtschaftlichem Gebiet bestanden bereits internationale Organisationen, wie zum Beispiel: Westeuropäischer Telegrafenverein seit 1855, Weltpostverein seit 1878, Internationales Arbeitsamt seit 1901 und andere mehr.

Das wichtigste Ereignis vorgenannter Konferenz nach dem Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen und dem Verbot von Giftgas, ist ein Vertrag Ÿüber die Schlichtung von Streitigkeiten und die Einsetzung des ständigen Schiedsgerichtshofes in Den Haag. Deutschland allerdings verlangt und erreicht dass alle Fragen von lebenswichtigem Interesse und alle Ehrensachen von der Haager Schiedsgerichtsbarkeit ausgenommen bleiben.

Der Turbienantrieb im Schiffsverkehr bewies seine Brauchbarkeit und Überlegenheit gegenüber dem Dampfmaschinenbetrieb über den Atlantik. Die British Cunard Line ließ ihre beiden neuen Schnelldampfer Lusitania und Mauretania mit Turbinenantrieb ausrüsten. Mit 23,99 Kn. Durchschnittsgeschwindigkeit schafft die Lusitania im Oktober 1907 die erste Transatlantikreise in weniger als fünf Tagen.