1908

Der Fachverband

Der stüŸrmischen Entwicklung neuer oder umgebauter Theater im Deutschen Reich stand eine eher schleppende Entwicklung der theatertechnischen Verbandsarbeit besonders außerhalb Berlins, in Wiesbaden, gegenŸüber.

Im Januar 1908 erschien eine Nummer 4 der BüŸhnentechnischen Rundschau, noch ohne Jahrgangsbezeichnung, in der erstmalig Anzeigen der theaterbeliefernden Industrie geschaltet wurden. Das war ein wichtiger Schritt zur Finanzierung der Zeitschrift.

Am 8. und 9. Juli 1908 fand dann im Münchener Hotel Continental die schon angekündigte Mitgliederversammlung des Verbandes der Deutschen Bühneningenieure und -techniker, Sitz Wiesbaden statt, welche aber nicht als zweite Bühnentechnische Tagung (BTT) in der Verbandsgeschichte bewertet wurde, weil anscheinend die Beteiligung zu wünschen Ÿübrig ließ. Es waren insgesamt nur 12 Teilnehmer anwesend, die namentlich aufgeführt wurden: Brandt – Berlin, Oworsky – Berlin, Hasait – Dresden, Klein – München, Klein – Stuttgart, Querfurth – Braunschweig, Rosenberg jun. – Cöln, Rudolph – Frankfurt (Oper), Schick – Wiesbaden, Schütz sen. Augsburg und SchŸtz jun. Waßmuth – Cassel. – Schick als erster Vorsitzender eröffnete die Zusammenkunft mit den Worten, dass er es lebhaft bedauere, dass nicht mehr Kollegen der Einladung gefolgt seien und deshalb keine ordentliche Tagung zustande gekommen sei.

Mit seiner Klage über das Desinteresse der Kollegen an der gemeinsamen Arbeit, hatte Schick unmissverständlich seine Meinung geäußert und damit unter den Anwesenden der Zusammenkunft in München erhebliche Verblüffung ausgelöst. Man hatte sich allgemein darauf verlassen, dass man jemanden hatte, der’s schon richten würde und sah sich nun selbst in der Schuld der angeprangerten Versäumnisse. Die anschließende Debatte wurde aber auch von der Furcht genährt , dass der Sache ein Mann verloren gehen könnte, welcher mit unermüdlicher Tatkraft bisher zum Gelingen des Ganzen beigetragen hatte. Es wurde dabei immer wieder betont, dass alle Kräfte daran gesetzt werden müssten, den Verband zu einer starken Korporation auszugestalten. Jeder solle daran mitarbeiten, auch wenn die Leistungen jedes Einzelnen noch so gering seien. Also viele gute Vorsätze, welche, wie spätere Berichte immer wieder nachweisen, leider im Lande draussen meist auf taube Ohren trafen und somit die Entwicklung des Verbandes immer wieder hemmten.

Doch die Münchener Sitzung brachte weitere Diskussionspunkte, aus denen sich die Schwierigkeiten der Verbandsarbeit erkennen ließen. So beklagte sich unter anderem der Kollege Klein – München, dass niemand den Stellennachweis benutze. Er sorge für Nachwuchs indem er Assistenten einstelle, aber diese Leute müssten dann auch mit der Zeit in den Betrieben untergebracht werden können. Bei diesem Diskussionspunkt entspann sich eine Debatte über die Zukunft der BTR. Es wurde der Vorschlag gemacht, die Zeitschrift einer großen, über das ganze Reich verbreiteten Zeitung, anzugliedern. Man entschied sich jedoch dafür, es noch einmal in der bisherigen Weise zu versuchen, indem man den anwesenden Herrn Brandt – Berlin bat, die Redaktion der BTR zu Ÿübernehmen. Fritz Brandt erklärte sich bereit, knüpfte hieran aber die Bedingung, dass jeder Kollege Mitarbeiter der Zeitung werden müsse. 

Ein weiterhin wichtiger Punkt der Versammlung war die Behandlung des Kassenwesens. Der Kollege Groß hatte aus Zeitmangel die Kasse nicht ordnungsmäßig verwalten können; es wurde deshalb Herr Klein – Stuttgart zum Kassierer gewählt. Herr Kollege Hasait übernahm die schriftlichen Arbeiten des Verbandes. Wegen der geringen Beteiligung der Mitglieder an dieser Zusammenkunft war aus vereinsrechtlichen Gründen eine Neuwahl des Vorstandes nicht mšglich, da keine Beschlussfähigkeit vorlag. Die Anwesenden baten Herrn Schick sein Amt als Vorsitzender vorerst weiter auszuüben, was dieser annahm. FüŸr seine mühevolle Arbeit wurde ihm offiziell gedankt.

Teile des Protokolls der Münchener Sitzung wurden hier deshalb wiedergegeben, weil es Dinge ansprach, welche im Laufe der Jahre fast immer zum Scheitern der beabsichtigten Unternehmungen der Organisationen (Verband der Deutschen Bühnentechniker, bez. deren Nachfolgeorganisationen) führten. Denn abgesehen von den wenigen Bühnentechnikern hatten es die bühnentechnischen Vorstände an mittleren und kleinen Bühnen immer sehr schwer sich durchzusetzen und mussten meist auf sich allein gestellt ihre Alltagsprobleme bewältigen. Gerade diesen Kollegen sollte aber mit der Verbandsarbeit geholfen werden. Viele von ihnen standen in nicht tariflich abgesicherten Vertragsverhältnissen. Hinzu kam, dass sie von außerhalb ihres Betriebes kaum beeinflußbar waren. Eine Freistellung vom Dienst für die Teilnahme an Tagungen des Verbandes, oder die Gewährung einer finanziellen Unterstützung war fast unmöglich. Dass dabei die Weiterbildung ihrer Techniker zum Vorteil des eigenen Betriebes auf der Strecke blieb, interessierte die Theaterleitungen wenig. Damit blieb die Teilnehmerzahl bei Tagungen gering und auch die Mitarbeit an der Bühnentechnischen Rundschau ließ stark zu wünschen Ÿübrig. Dass die Kollegen vieler HäŠuser neben ihrer Alltagsarbeit nicht die Zeit zur Verbandsmitarbeit fanden, ist eine Feststellung, die noch heute Geltung hat, wenn auch unter anderen Umständen als damals.

In der Berliner Vereinigung hatte sich gegenüber 1907 nichts Wesentliches verändert. Lediglich die ausführliche Eintragung der Gründung der Berliner Vereinigung im Neuen Theater Almanach 1908 der Bühnengenossenschaft war besonders zu vermerken. †Über die Möglichkeit einer Fachzeitschrift als Mitteilungsblatt der Berliner Vereinigung der Technischen Bühnenvorstände gab es noch keinerlei Notizen. Im ersten Berichtes im Neuen Theater Almanach gibt es keinerlei Notiz über die Gründung des Wiesbadener Verbandes und die Bühnentechnische Rundschau. Vielleicht war das der Grund, dass sich der Wiesbadener Verband bei den Gründungsfestlegungen bewusst gegenŸüber den vorwiegend sozial-gewerkschaftlich orientierten Zielen der Bühnengenossenschaft absetzte, um möglichst ein politisch unabhängiger Fachverband werden zu können. Auch in den Folgejahren, bis zum ersten Weltkrieg wurde streng auf diese Abgrenzung der Interessen geachtet, was sich auch in der Mitgliederzusammensetzung beider Verbände deutlich manifestierte. Trotz der Bismarck’schen Sozialgesetzgebungsinitiativen waren die königlichen, herzoglich-fürstlichen Hof- und Privattheater stark konservativ beeinflusst und verschlossen sich den, auch von der Bühnengenossenschaft unterstützten, Verbesserungen der Sozialvoraussetzungen im Theaterbereich.

Das Jahr 1908 war für die noch junge Verbandsarbeit beider bestehenden theatertechnischen Vereinigungen ein wichtiger Zeitabschnitt in ihren jeweiligen Entwicklungen, welche trotz gleicher Zielsetzung doch unterschiedlich verliefen. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die stadtgebundene Berliner Technikervereinigung günstigere Voraussetzungen gegenüber dem Wiesbadener Verband hatte, weil dieser das gesamte Reichsgebiet und zum Teil das deutschsprachige Ausland Österreichs und der Schweiz mit betreute.

Theatergeschichte

Das im Jahre 1907 erbaute Berliner Hebbel-Theater, in der heutigen Stresemannstraße 29, wird 1908 eröffnet. Das Theater unterliegt in den Folgejahren unterschiedlicher Nutzung; es hat teilweise eigene Ensembles, wird aber auch als nur Gastspieltheater von reisenden Truppen benutzt. Im Eröffnungsjahr wird es als Schauspieltheater mit eigenem Ensemble betrieben.

Das in den Jahren 1906/07 von Bernhard Sehring in Jugendstil erbaute Stadttheater (Großes Haus), heute: Staatstheater Brandenburg, in Cottbus wird am 1. Oktober 1908 eršöffnet.

Das in den Jahren 1907/08 neu erbaute Erholungshaus der heutigen Bayer AG in Leverkusen wird zur vorwiegenden Nutzung als Theater- und Konzerthaus am 13. September 1908 eršöffnet. Es besteht in dieser Form noch heute und ist damit eine der ersten Mehrzweckhallen nach dem heutigen Sprachgebrauch.

Zur Spielzeit 1907/08 wird das von Max Littmann 1905/06/07 erbaute Schillertheater zu Berlin Charlottenburg, als sogenanntes Volkstheater, vorwiegend für Schauspiel bestimmt, eröffnet. Bei diesem Theater ist jedoch die Keilform der Zuschauerreihen von Littmann noch straffer geführt und durch einen Amphitheater-Rang ergänzt, so dass das Haus dadurch eine PlatzkapazitäŠt von 1450 Sitzplätzen erhält.

M. Littmann war ein Architekt von hoher künstlerischer Begabung, der ganz die Gedanken Schinkels, G. Sempers und R. Wagners vertrat. Er hatte bereits 1901 das Prinzregententheater in München als spezielles Operntheater erbaut. Dieses Haus stellte eine vollkommene Nachbildung Bayreuths dar, war aber im Gegensatz zu dort, nicht als Fachwerkbau sondern als Massivbau in Jugendstil ausgeführt worden. Am 11. Januar 1908 wird das in den Jahren 1906/07 ebenfalls von Max Littmann erbaute Weimarer neue Hoftheater eršöffnet.

Am 5. März 1908 geht das Herzogliche Hoftheater in Meiningen/Thüringen, die Geburtsstätte der weltberühmten Meininger unter deren Theaterherzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, in Flammen auf und brennt bis auf die Grundmauern nieder. Bereits wenige Tage nach dem verheerenden Brand des Theaters entscheidet Georg II. den sofortigen Wiederaufbau des Hoftheaters an gleicher Stelle und schon vier Wochen später wird der endgültige Vorentwurf nach genauen persönlichen Anweisungen des Bauherrn zum Abschluss gebracht. Bereits Anfang Juni 1908 beginnen die Bauarbeiten und am Weihnachtsabend 1908 findet das Richtfest statt. Keiner, der damals namhaften Bühnentechniker wurde zur Beratung herangezogen, und trotzdem entsteht ein absolut technisch modernes Haus mit allen zu jener Zeit lieferbaren neuesten Einrichtungen der Bühnentechnik. Mit diesem Bau beweist sich die geniale praxisbezogene, künstlerisch – technische Veranlagung dieses Theaterherzogs, von dem manche heutigen Theaterleiter lernen könnten.

Aus Anlass der Münchener Kunstgewerbeausstellung im Sommer des Jahres 1908, wird von Max Littmann das Künstlertheater in München erbaut. Bei diesem Bau werden von ihm erstmalig alle bis dahin nur teilweise möglichen Reformideen realisiert und dieses Theater unter anderem ohne barocke Logenränge als reines Amphitheater konzipiert. Lediglich fünf Repräsentationslogen werden hinter der letzten Sitzreihe der amphitheatralisch ansteigenden Zuschauerreihen in der Rückwand des Raumes als optischer Abschluss und zur Verbesserung der Akustik eingefügt. Das Proszenium wird als gelenkartige Verbindung von Bühne und Zuschauerbereich ausgeführt. Die Seitenwände des Proszeniums können durch AuftrittstüŸren und/oder bespielbare Fenster verändert und dem Spielgeschehen angepasst werden. Im Laufe des Jahres 1908 wird in Magdeburg eine in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts errichtete Villa in klassizistischem Stil durch die Magdeburger Harmoniegesellschaft erworben, baulich erweitert und als Theater eröffnet; die späteren Freien Kammerspiele Magdeburg.

Am 1. Oktober 1908 wird unter der Leitung von Leo Walther, dem Direktor des Deutschen Theaters in Hannover, das in den Jahren 1907/08 erbaute Stadttheater in Minden (Westf.) eröffnet.

Ebenfalls am 1. Oktober 1908 wird in der Hansestadt LŸübeck ein Mehrspartentheater als Bühnen der Hansestadt in Betrieb genommen. Das von OŸlfer in Jugendstil erbaute Haus gilt zu jenem Zeitpunkt als größtes und technisch modernstes Theater Deutschlands.

Das Umfeld

Auf dem Balkan stoßen die Interessen von Deutschland und Österreich-Ungarn mit denen von Großbritannien und vor allem Russland zusammen. Als der Türkische Sultan 1908 von revolutionären Jungtürken praktisch entmachtet wird, nimmt die Regierung in Wien Bosnien und Herzegowina für die Donaumonarchie in Besitz. Russland protestiert, aber Österreich wird vom Deutschen Reich unterstützt. Der Zar muss nachgeben, schliesst sich aber um so enger an die Entente an, einem 1904 entstandenem Bündnis zwischen Frankreich, England und Russland gegenüber Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich.

Im Zuge der Entwicklung von Rundfunk- und Fernsehtechnik, insbesondere der 1906 erfundenen Verstärkerröhre und damit zusammenhängender Erfindung der allgemeinen Verstärkertechnik, macht 1908 der Schotte A. A. Campell Swinton den Vorschlag zur Umwandlung eines Bildes in eine Folge elektrischer Signale, welcher bereits alle wesentlichen Elemente der heutigen rein elektronischen Fernsehtechnik enthält, einschließlich der Nutzung von Kathodenstrahlröhren für Kamera und Empfänger.