1911

Der Fachverband

Das Jahr 1911 brachte die Verbandsgeschichte der Theatertechnik in Bewegung. Beide bis dahin getrennt nebeneinander arbeitenden Fachverbände in Wiesbaden und Berlin waren nach ihren teilweise mehr oder weniger erfolglosen Bemühungen um Anerkennung im Theaterbereich und Erhöhung der jeweiligen Mitgliederzahlen in den Jahren seit ihrem Bestehen zu der Erkenntnis gelangt, dass dieses getrennte Wirken bei an und für sich gleichlautenden Bestrebungen auf die Dauer nicht von Erfolg gekrönt sei und wahrscheinlich immer mehr ins Leere laufen würde. Die jeweiligen Mitgliederzahlen konnten die Marke eines halben Hunderts nicht erreichen, geschweige denn überschreiten. So begann der Gedanke einer Verschmelzung beider Organisationen konkrete Formen anzunehmen und wurde in gegenseitigen Besprechungen verschiedener Vorstandsmitglieder erörtert. Nach den vorliegenden Unterlagen muss vermutet werden, dass das Zusammengehen des Wiesbadener und des Berliner Verbandes höchst wahrscheinlich von Ersterem ausgegangen ist. Im Gegensatz zu Berlin hatte es Wiesbaden schwerer neue Mitglieder zu finden, da bei ihnen fast nur die oberste, akademisch vorgebildete Gruppe der Technischen Bühnenvorstände vereinigt war, während die Berliner Gruppe auch Meister in selbständiger Position aufnahm. So ist die Vereinigungsinitiative aus Wiesbaden zu verstehen. Um sie durchführen zu können bedurfte es einer gemeinsamen Tagung beider Verbände, welche auf den 11. Juli 1911 in Dresden festgelegt wurde. Der Anstoss ging anscheinend von Max Hasait aus, der als Mitglied des Wiesbadener Verbandes in Dresden an den Staatstheatern tätig war. Ihm schien am Ort seiner Berufstätigkeit die Organisation einer solchen Tagung leichter zu fallen. Diese Tagung ging offiziell als zweite Bühnentechnische Tagung (BTT) in die spätere Verbandsgeschichte ein und wurde in den Auflistungen aller Tagungen mit Nummer 2 angegeben.  Diese Dresdener Tagung war auch nicht beschlussfähig, weil die Berliner Gruppe mit zu geringer Mitgliederzahl dort anwesend war und deshalb für ihren Teil den Zusammenschluss beider Verbände nicht bestätigen konnte. Dies wird durch eine für den 1. Oktober 1911 in Berlin angesetzte Zusammenkunft der Berliner Vereinigung belegt, auf der dann die notwendigen Abstimmungen endgültig vorgenommen werden konnten. Damit galt dieses Datum als amtlicher Termin der Vereinigung beider Gruppen zu dem Verband Deutscher Bühnentechniker, wie er in das Vereinsregister eingetragen wurde. Durch den Zusammenschluss erreichte man eine Mitgliederzahl von 77 Technischen Bühnenvorständen. Eine Berichterstattung Ÿüber den Zusammenschluss erfolgte zunächst nicht. Alles in allem brachte das Jahr 1911 etwas Bewegung in die Verbandsarbeit und durch die Vereinigung beider Teilverbände zum Verband Deutscher Bühnentechniker einen Fortschritt für die Zukunft. Mit der Vereinigung war nun auch die Integration der mittleren Führungsebene automatisch verbunden. Trotzdem blieben die leitenden Bühnentechniker an den kleinen und mittleren Theatern von den in Wiesbaden zusammengeschlossenen Kollegen nach wie vor weitgehendst unbeachtet. So entstand der Eindruck des später oft spöttisch bezeichneten „Herrenreiter-Clubs“. 

Theatergeschichte

1911 werden im Bayreuther Festspielhaus erstmalig unter dem damaligen Technischen Leiter Friedrich Kranich sen., der in den Jahren 1869 bis 1914 dort tätig war, dessen beide Söšhne eingesetzt. Friedrich Kranich jr., der €ältere der beiden BrüŸder, arbeitete auf der Bühne und Rudolf Kranich, als der Jüngere, in der Beleuchtung, später löste Friedrich Kranich jr. seinen verstorbenen Vater im Festspielhaus als Technischer Leiter ab. – Ebenfalls 1911 soll zum ersten Mal bei einer Inszenierung im Festspielhaus ein „Rundhorizont“ eingesetzt worden sein, was aber nicht als sicher gilt. An der Weidendammer Brücke in Berlin-Mitte, wird 1911 der „Admiralspalast“, ein neues Theater für musikalische Aufführungen, insbesondere der Operette und musikalischen Revue gewidmet, in Betrieb genommen. Unmittelbar nach dem letzten Krieg diente es Ÿüber mehrere Jahre der Deutschen Staatsoper, deren Haus Unter den Linden zerstört war, als Ausweichquartier und beherbergte das nach dem zweiten Weltkrieg von der Behrenstraße verlagerte Metropol-Theater. In den Jahren 1910/11 wird mit 800 Plätzen von Prof. Vetterlein das Hagener Stadttheater erbaut und am 5. Oktober 1911 eršöffnet. In der Augustenstraße 89 in München wird 1911 das Münchener-Lustspielhaus gegründet. Zu seiner Eröffnung ein Jahr später bekam es aber einen anderen Namen. Ab 1911 wird im III. Wiener Bezirk das Akademietheater von den damals dort tätigen Architekten Fellner, Hellmer und Ludwig Baumann erbaut. 

Das Umfeld

Im Jahr 1911 wurde die politische Situation im SüŸdosten Europas und üŸbergreifend nach Nordafrika immer komplizierter. Es entwickelten sich dort lokale Kriege. So griffen die Italiener 1911 die Türken in Tripolis an, um den Rest der Vormachtstellung des alles beherrschenden Osmanischen Reiches auch in Nordafrika zu brechen. Diese Gelegenheit nutzten bereits ein Jahr später (1912) die Balkanstaaten, um mit russischer Hilfe durch einen Krieg gegen die Türken, diesen ihre letzten Besitzungen auf dem Balkan, und damit im europäischen Kernland, abzujagen. Bulgarien gewann dabei das größte dieser Gebiete, was wiederum die Ÿübrigen Balkanstaaten nicht zulassen wollten und nun ihrerseits einen Krieg gegen Bulgarien führten, welchen sie siegreich beendeten. Die damals bestehende Gefahr einer Ausweitung dieser Kriege konnte aber vermieden werden, weil das Deutsche Reich, zusammen mit England, fŸür den Frieden eintrat und weitere kriegerische Handlungen unterbinden konnten. Außerdem traten beide Staaten dabei fŸür die Interessen von Russland und Österreich auf dem Balkan ein.  Im Ÿübrigen Verkehrswesen, insbesondere der Großstädte, gab es seit der Jahrhundertwende eine rasante Entwicklung. – In Berlin stieß der Dampflokomotivenbetrieb der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen wegen der verhältnismäßig kurzen Streckenabschnitte zwischen den Stationen und der dadurch bedingten starken Anfahrleistungen nach dem Halten, schon bald an seine technischen Leistungsgrenzen. Auch wegen der starken LäŠrm-, Schmutz- und Geruchsbelästigungen kam daher schon zur Jahrhundertwende die Idee einer Elektrifizierung der bestehenden Stadt-, Ring- und Vorortbahnen auf. Trotzdem gelang es nicht die geplante Elektrifizierung zu jenem Zeitpunkt in Gang zu setzen.