Der Fachverband
Der erste Weltkrieg war am 11. November offiziell beendet, die politischen Verwerfungen nicht nur im Deutschen Reich, sondern auch in Russland und anderen Staaten Europas, veränderten die Gesellschaften von Grund auf und damit auch das gesamte Kulturleben. Die ehemals höfischen Theater wurden größtenteils kommunalisiert aber auch privatisiert. Andere bis dahin bestehende Privattheater wurden in andere Rechtsformen überführt um weiterbestehen zu können. Die aus dem Militärdienst und Krieg heimkehrenden Mitglieder des Verbandes Deutscher Bühnentechniker hatten bei ihrer Rückkehr in die heimatlichen Betriebe zunächst andere Sorgen als die Verbandsarbeit. So war es kein Wunder, dass der VDB zwar auf dem Papier noch bestand aber zunächst völlig inaktiv war. Weder die amtierenden Vorstandsmitglieder, als noch die übrigen 70 bis 80 Mitglieder waren in der Lage irgendwelche dem Erhalt des Verbandes dienende Arbeit ehrenamtlich verrichten zu können. Deshalb gibt es in diesem Berichtsjahr außer der Stagnation der Verbandsarbeit keinerlei andere Ereignisse zu berichten.
Unter diesen Umständen litten auch die deutschen Fachfirmen der theatertechnischen Industrien. Im Inland herrschte das politische Chaos mit allen seinen Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben. Erneuerungen technischer Anlagen oder Neubauten wurden, soweit überhaupt durchführbar, von den Auftraggebern zunächst annulliert oder zurückgestellt. Durch den verlorenen Krieg waren auch die ausländischen Geschäftsbeziehungen der deutschen Fachfirmen weggebrochen, welche vor dem Krieg, wegen der damit verbundenen Bedeutung dieser Branche, auf dem Weltmarkt mit beträchtlichen Einnahmen verbunden gewesen waren. Hinzu kam, dass das Werbemittel BTR fehlte, weil sie auch in diesem Jahr nicht reaktiviert werden konnte.In diese Zeit fiel der Berufsanfang eines Theatertechnikers, dessen Name später für einen wesentlichen Abschnitt der Geschichte des Verbandes und der Deutschen Theatertechnik, weltweite Bedeutung erlangen sollte, **Walther Unruh.** – Er hatte zwei Jahre des Krieges bei den Telegraphentruppen gedient und kehrte 1918 in seine Heimatstadt Dresden zurück. Nach Abschluss des durch den Krieg unterbrochenen Studiums des Elektromaschinenbaus, suchte er für seine Diplomarbeit eine passende Beschäftigung. Bei dieser Suche kam ihm der Zufall zugute, dass in seinem Elternhaus als Freund der Familie der Technische Direktor der Dresdener Oper, Max Hasait wohnte. Dieser öffnete ihm alle Türen und Möglichkeiten, den Opernbetrieb aus der technischen Perspektive umfassend kennenzulernen, und Walter Unruh wählte als Thema der Diplomarbeit den Titel: *Die Elektrotechnik im Theater*. Als er das fertige Manuskript dieser Arbeit M. Hasait zeigte stand für diesen fest, dass der Verfasser unbedingt den Beruf des Bühnentechnikers ergreifen sollte. Da von Unruh später auch die Arbeit des Fachverbandes ganz wesentlich beeinflusst wurde, musste an dieser Stelle auf seine Person eingegangen werden.
Alles in Allem war dieses Berichtsjahr mit seinen Unwägbarkeiten und Umbrüchen ein *Ritardando* in der Verbandsarbeit, das zu neuen Überlegungen und Anstößen für die Zukunft führte.
Theatergeschichte
In diesem bewegten Jahr spielte sich, nach laut vorliegenden Berichten, trotzdem ein reges Theaterleben im gesamten Reichsgebiet ab. Es zeichneten sich aber bereits erste, durch die Veränderung der politischen Verhältnisse notwendig werdende Umstrukturierungen ab. Auch in diesem Notjahr entstehen neue Theater. So wird unter anderem in Berlin das Theater Tribüne mit 313 Sitzplätzen (ohne Vorbühne) oder 294 Platzen (mit Vorbühne} gebaut.
Da ehemalige Weimarer Hoftheater geht im November als Landestheater in den Besitz des Landes Thüringen über.
Verschiedene Theater im übrigen Reichsgebiet und den im Krieg vorübergehend besetzt gewesenen Gebieten werden aufgelöst, geschlossen oder den jeweiligen Gemeinden übereignet. Besonders die kleineren Theater im Reichsgebiet sind von dieser Situation betroffen. Da die Gemeinden aber meistens nicht die erforderlichen Finanzmittel zu Weiterführung des Betriebes aufbringen können, sind Schließungen die Folge, was in erster Linie die Beschäftigten trifft.
Das Umfeld
Im Januar erfolgte in Russland die Auflösung der verfassunggebenden Versammlung. Anfang Januar verkündete Präsident Wilson seine 14 Punkte. Im März schlossen die Russen den Frieden von Brest-Litowsk, bei dem Russland vornehmlich im Westen erhebliche Landverluste erlitt. Am 10. Juli wurde die Zarenfamilie ermordet.
Anfang September wurde die Rückverlegung der deutschen Front im Osten durchgeführt. Anfang Oktober ernannte man Prinz Max von Baden zum Deutschen Reichskanzler. Am 4. Oktober erfolgte ein Deutsches Waffenstillstandsangebot an die Alliierten.
Am 28. Oktober führte man in Deutschland eine Verfassungsreform zur parlamentarischen Monarchie durch. Am 3. /4. November ereignete sich der „Matrosenaufstand“ in Kiel. Und darauf, am 9. November die Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II. und die Übernahme der Regierung durch Friedrich Ebert, mit der Ausrufung der Deutschen Republik, des Rates der Volksbeauftragten. Am 11. November erfolgte die Unterzeichnung des Waffenstillstands. Vom 16. bis 20. Dezember tagte in Berlin der Rätekongress.