1921

Der Fachverband

Die Berufsgruppe für technische Bühnenvorstände, deren Mitgliederzahl mittlerweile die Zahl von 550 erreicht hatte, war damit beschäftigt ihre zukünftige Geschäftsform zu finden und danach entsprechende Prioritäten zu setzen. Die Tarifangelegenheiten mit den daran geknüpften Erwartungen der Mitglieder rückten an die vorderste Stelle, zumal der Vorstand der Genossenschaft auf deren Erledigung drängte. Um alle Verhandlungen in diesem Zusammenhang juristisch abzusichern, wurde eine Gesamttagung der Berufsgruppe erforderlich. Es erfolgte daraufhin in den Heften 1 und 2 der BTR der Nachdruck eines Aufrufes aus der GDBA-Zeitung der Neue Weg zu einer Ende Juni in Halle a.d.S. vorgesehenen Tagung folgenden Inhalts:

Am 29. und 30. Juni d. J. findet im Stadttheater zu Halle a.d.S. eine Tagung der technischen Bühnenvorstände statt, zu der das Präsidium der Genossenschaft die Einladung ergehen lässt. Es ist Pflicht jedes Technischen Vorstandes, zu dieser Tagung zu erscheinen, da auf dieser überaus wichtige wirtschaftliche Fragen verhandelt werden sollen. Auf der Tagesordnung stehen Punkte wie: Revision des Tarifvertrages; Berichterstattung Ÿüber die Verhandlungen mit dem Gemeinnützigen Theaterverband; Bildung der Berufsgruppe und Wahl von Gruppenräten, sowie Beisitzer der Schiedsgerichte. Mit dieser Tagung wird eine Musterschau verbunden sein, auf der technische Leiter, Maler, Beleuchtungsinspektoren, Garderobeinspektoren und FriseureMaskenbildner) die Neuheiten ihres Faches finden werden.Das Präsidium erwartet, dass jede Theaterstadt mindestens einen Delegierten sendet, der möglichst auf gemeinschaftliche Kosten seiner Kollegen zur Tagung fahren sollte. Vorteilhafter wird es sein, wenn jeder einzelne Beruf je einen Vertreter entsendet, damit alle Wünsche bei den Beratungen zur Geltung kommen. Es ist zu empfehlen, dass schon jetzt Anträge zu den Punkten der Tagesordnung an das Präsidium gesandt werden, welche dann zuerst zur Besprechung gelangen werden. gez.: Hasait/ Hansing.

Die von Seiten der Berufsgruppenleitung und dem Präsidium der Genossenschaft wiederholt erhobenen Mahnungen treu zur GDBA zu halten waren damit begründet, dass namhafte Mitglieder der Berufsgruppe ernsthaft Ÿüberlegten einen Wechsel zu anderen berufsständigen Organisationen zu vollziehen. Man hatte im bisherigen freien Fachverband seine persönlichen Interessen weitgehend selbst vertreten können, mehr als es jetzt im Rahmen der von der Berufsgruppe bestimmten Richtlinien und Tarifzwänge möglich war. Obwohl man sich nach außen hin bemühte die Arbeit der Genossenschaft zu unterstützen und auch zum Erfolg zu bringen, gärte es innerhalb der Berufsgruppe. Grund waren die leider sehr unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmale jedes einzelnen technischen Vorstandes. Der autarke, durch seine Leistung Ÿüberzeugende und von den künstlerischen Leitungen des Betriebes anerkannte Technische Vorstand hatte von jeher auf der Freiheit eines tarifunabhängigen Vertrages mit seinem Arbeitgeber bestanden und nahm damit außer einer von ihm frei auszuhandelnden Gage automatisch die Nachteile eines befristeten Zeitvertrages als für ihn einzig gültige Vertragsform in Anspruch. – Ganz anders die Situation eines nicht autarken und dazu meist in starker Abhängigkeit stehenden technischen Vorstandes. Ihm kam die tarifgebundene Vertragsform weit mehr entgegen, da dieselbe durch ihre Grundlagen alle Risiken einer freien Vertragsform ausschaltet und bis zur Pensionierung Bestand haben kann.

GegenŸüber der sonst Ÿüblichen Berichterstattung Ÿüber Tagungen in der Bühnentechnischen Rundschau, erfolgte der Bericht Ÿüber die Hallenser Tagung zunächst in der Zeitschrift Der Neue Weg, da ja die Genossenschaft die zur Tagung einberufende Stelle gewesen war. Hansing druckte nur einen kurzen Auszug des Berichtes in BTR Heft 3 nach:

Einen ausführlichen Bericht Ÿüber die Tagung in Halle finden die Kollegen in dem zweiten Augustheft des Neuen Weges. Gleichzeitig machen wir auf die in Halle a.d.S. aufgestellten Wahlvorschläge für den Gruppenrat aufmerksam. Geht kein anderer Vorschlag ein, so gelten die nach reichlicher †Überlegung während der Tagung in Halle aufgestellten Kandidaten als gewählt. Sie bestimmen dann aus ihrer Mitte den Gruppenobmann. So wollen wir hoffen, dass am 1. September unsere Berufsgruppe endgültig konstituiert ist. Der vorgeschlagene Gruppenrat bürgt uns dafür dass er unsere Interessen bei der Genossenschaft tatkräftig vertritt, und das Präsidium der Genossenschaft hat uns in Halle nochmals das Versprechen gegeben sich stets für unsere Interessen nach besten Kräften einzusetzen. Dankesworte gab es für die unermüdliche Arbeit des bisherigen provisorischen Gruppenobmanns Hasait. Die Tagung in Halle hat gezeigt, dass an dieser Stelle rastlos im Dienste der Berufsgruppe gearbeitet worden ist. Außerdem sei nochmals Kollegen Hausschild – Stadttheater Halle gedankt, der die diesjährige Tagung mit großem Geschick vorbereitet hatte, so dass die erfreulicher Weise siebzig auswärtigen Kollegen gut untergebracht wurden. Von großem Interesse war die Besichtigung des Stadttheaters mit dem ersten in Deutschland erbauten „Asphalaia-Hydrauliksystem“. Sehr gut beschickt und gelungen war die Ausstellung im Malersaal des Stadttheaters, auf der viele Firmen der Branche vertreten waren. Der Platzmangel in der Zeitschrift verbietet uns, näher auf die Ausstellung einzugehen. Wir danken den Ausstellern für die Unterstützung unserer Bestrebungen und bitten unsere Kollegen bei Bedarf auf diese Firmen zurckzugreifen.

Anschließend an diese 8. Bühnentechnische Tagung fand am 8. Juli in Berlin eine weitere Verhandlung des paritätischen Tarifausschusses statt, welche von Hasait und Hansing als den bisherigen provisorischen Gruppenratsobmännern wahrgenommen wurde. In Heft 3 gab Hasait einen ausführlichen Bericht unter dem Titel, Der Stand der Tarifverhandlungen, mit allen erforderlichen Details. – Vertragsschwierigkeiten ergaben sich aus der Situation, daß Funktionsmeister, also zum Beispiel: SchnŸür-, Versenkungs-, Maschinen-, Magazin-, Seiten-, Tapezier-, Schreiner-, Schlosser-, aber auch Requisitenmeister, Oberbeleuchter, usw. fast ausschließlich im Deutschen Transportarbeiterverband gewerkschaftlich organisiert waren. Sie hatten sich für ihre Meisterfunktionen in den Theatern qualifiziert, wo sie entgegen der freien Wirtschaft unter anderem keine Lehrlingsausbildungsbefugnis hatten. Mit der Schaffung der Berufsgruppe technische Bühnenvorstände wurden diese Funktionsmeister automatisch Mitglieder der Genossenschaft. Dies führte bei den Tarifverhandlungen unweigerlich zu einem gewerkschaftlichen Konkurrenzkampf, welcher der Sache mehr schadete als nützte. Man versuchte durch eine Vereinbarung zwischen dem Transportarbeiterverband und der GDBA diesen Streit zu entschärfen. Es wurde dazu ein Vertragsentwurf erstellt, der im Neuen Weg und daran anschließend in der BTR veröffentlicht wurde und der Berufsgruppenkommission für die Tarifverhandlungen als Grundlage ihrer Arbeit dienen sollte. Im Zusammenhang mit den von der Genossenschaft erstellten Richtlinien für die Tarifverträge der bühnentechnischen Angestellten fand am 28. November in Stuttgart eine weitere Sitzung der paritätischen Tarifkommission statt, Ÿüber deren Verlauf und Ergebnisse in Heft 1+2/1922 der BTR berichtet wurde.

Eine andere zu den Tarifverhandlungen gehörende Sache, war die erfolgreiche Durchsetzung der paritätisch vom Bühnenverein und der Genossenschaft gebildeten BŸühnenschiedsgerichtsbarkeit für alle in den Theatern auftretenden Streitfälle im Arbeits- und Sozialrecht. GegenŸüber den Tarifverhandlungen war deren Konstitution verhältnismäßig schnell erfolgt. Sie führte bereits kurz nach ihrer Einrichtung die anfallenden Aufgaben zu aller Zufriedenheit aus. Obwohl die Tarifverhandlungen zum Ende dieses Berichtsjahres noch nicht endgültig abgeschlossen wurden, nutzten die Schiedsgerichte bereits die aufgestellten Richtlinien als Arbeitsgrundlage für die anfallenden Tarifstreitigkeitsfälle. Entsprechend ergangene Urteile wurden unter anderem in Heft 4 der BTR veröffentlicht.

Neben den ausgiebig behandelten Tarifangelegenheiten wurde in der Bühnentechnischen Rundschau laufend Ÿüber technische Neuerungen, Brand- und Feuerschutz oder Analysen Ÿüber vergangene Theaterbrände, neue Materialien und deren Anwendung im Betrieb, sowie Fachbuchveröffentlichungen berichtet. So gab es einen Hinweis auf die Fachzeitschrift Die Kinotechnik der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft (DKG), in der der Einsatz des Filmes im Bereich der Theaterinszenierungen mit den Versuchen Erwin Piscator ’s in Berlin ausführlich behandelt wurde.

Durch die allgemeine Verschlechterung der Wirtschaftslage infolge der beginnenden Inflation wurden auch die BezugsgebŸühren der BTR angehoben, die Einzelnummer von 2,- Mark auf 2,50 Mark und das Jahresabonnement bei sechs Heften auf 15 Mark, ein beachtlicher Betrag fŸür die damalige Zeit.

Theatergeschichte

Unter der Leitung von Max Hasait – Dresden, wurde der Umbau des Landestheaters Karlsruhe durchgeführt.

A. Linnebach – Dresden leitete die Umbauten des Nationaltheaters in München und des Stadttheaters in Aachen.

Das Komödienhaus in Hamburg wurde am 3. September nach erfolgreichem Umbau wieder eröffnet.

Nach dem Kleinen wurde auch der Umbau Großes Haus des Schlossparktheaters in Berlin-Steglitz fertiggestellt und am 2. Oktober wieder eröffnet. Die Bühne des Großen Hauses liegt unmittelbar neben der des Kleinen Hauses; sie erlaubt vermittels einer Drehbühne schnelle Verwandlungsmöglichkeiten. Der Hintergrund der Bühne wird durch einen feststehenden Horizont begrenzt. Das Bühnenhaus wurde nach Angaben von Adolf Linnebach – Dresden gebaut.
Das Berliner Theater am Kurfürstendamm wurde aus der alten Liebermann‘schen Sezession von Oskar Kaufmann umgebaut. Der Innenraum gehörte in seinem modischen Expressionismus zu den originellsten Theaterbauten der damaligen Zeit.

Der Bau eines neuen Kurtheaters in Bad Landeck in Schlesien sollte in der kommen den Saison nach Umbau wieder eröffnet werden.
Anfang Oktober fand in Dessau die Eröffnung eines neuen Theaters als Kammerspiele statt. Das Theater faßt 400 Zuschauer.

Der an der Adalbertstraße in München gelegene Kunstsaal Steinide wurde einem Umbau unterzogen. Die Bühne gestaltete man zu einer Stilbühne neuesten Systems um.
Ende Oktober wurde das Theater im neuen Uhlandbau in Mühlacker eröffnet. Das 45 Musikern Platz bietende versenkte Orchester konnte überdeckt werden. Die Bühne wurde mit einem Rundhorizont versehen. Die Beleuchtungsanlage einschließlich der Rundhorizontbeleuchtung wurde von dem neben dem Souffleurkasten stehenden Regulator aus bedient. Als technischer Sachverständiger wirkte Friedrich Hansing.

Ebenfalls Friedrich Hansing – Stuttgart, baute in Czernowitz (Rumänien) ein Deutsches Kammerspiel Theater.
Ein Erlaß des preußischen Wohlfahrtsministeriums, der zugleich im Namen des Ministeriums des Inneren erging, hatte die 1909 erlassene Polizeiverordnung Über die bauliche Anlage, die innere Einrichtung und den Betrieb von Theatern, öffentlichen Versammlungsräumen und Zirkusanlagen insofern geändert, als die Benützung der Schulräume, Aulen, Festsäle etc., zu theaterähnlichen Aufführungen nunmehr von besonderen baupolizeilichen Genehmigungen durch die örtliche Polizei abhängig war. Diese Änderung war zum Schutze der Besucher und Mitwirkenden solcher Veranstaltungen notwendig geworden.

Das Umfeld

Am 16. Januar konstituiert sich der Völkerbund in Genf – Im MäŠrz scheitert der rechts-nationale „Kapp-Putsch“ an dem Widerstand der Gewerkschaften. Von MäŠrz bis Mai dauert der Aufstand an der Ruhr. – WäŠhrend des Jahres beginnen Terroraktionen der faschistischen Stosstrupps in Italien das Land zu verunsichern.


BTR