Der Fachverband
Bedingt durch die erläuterten politischen und wirtschaftlichen Umstände stand die Gesamtarbeit der Berufsgruppe der Technischen Bühnenvorstände stark unter den sozialen Einflüssen der Zeit. Trotzdem war aber deutlich die Hinwendung zu theatertechnisch bezogenen Themen nicht zu verleugnen. Der überraschend große Erfolg der Augsburger Tagung im Jahr 1922 mit den daraus resultierenden Arbeitsbeschlüssen und Wirkungen in die Öffentlichkeit führten zu einer Vielzahl von Anfragen aus allen Teilen der Welt, insbesondere des deutschsprachigen Auslandes; der Maßstab der deutschen Bühnentechnik wurde rückhaltlos anerkannt. Das Zusammenwirken von Anwendern und der Industrie bestimmte von nun an das Vorgehen der Berufsgruppenspitze in allen die Theatertechnik betreffenden Fragen. Trotz der ungünstigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde deshalb für den Sommer wiederum eine Bühnentechnische Tagung geplant. Sie sollte die Technischen Vorstände ohne Unterschied ihrer Organisationszugehörigkeit sowie die Vertreter der Industrie wieder zusammenführen, um daraus neue Anstösse für die Arbeit zu erhalten. Als Tagungsorte standen Braunschweig, Berlin oder Dessau zur Debatte, wobei für Braunschweig sprach, da die Stadt mit ihrem Landestheater sich schon seit vielen Jahren um die Austragung einer Tagung bemüht hatte. Diese 10. Bühnentechnische Tagung fand dann in Braunschweig vom 14. bis 16. Juli statt, unter Beteiligung von 48 Berufsgruppenmitgliedern und der theatertechnischen Industrie, verbunden mit einer großen Firmenausstellung im Landestheater und dem örtlichen Parkhotel. In Heft 4 der BTR gab es eine ausführliche Berichterstattung. Einige heute interessante Punkte seien herausgegriffen. Über die Beteiligung an der Tagung, unter den herrschenden Schwierigkeiten im Reich, konnte man lesen:
Wohl niemand hätte geglaubt, dass er so viele Teilnehmer treffen würde, zumal die Kollegen des durch die Siegermächte besetzten Gebietes durch die bestehenden Sperren am Kommen verhindert waren. Lediglich Roman Wanner aus Mainz hatte es ermöglicht, die französischen Posten zu passieren. Sogar das entfernte Königsberg war vertreten und vom Landestheater Stuttgart waren drei Kollegen in vierzehnstündiger Schnellzugfahrt nach Braunschweig geeilt.
Großen Raum im Tagungsbericht nahm die Fachausstellung der bühnentechnischen Industrie ein. Verantwortlicher war Tagungsleiter Gruppenobmann A. Ludwig aus Lübeck. Er führte abwechselnd mit dem Vertreter des Werkmeisterverbandes den Vorsitz der Versammlung. Als Tagungsordnungspunkte gab es verschiedene Fachvorträge über neue Geräte; Kulisse-Kostüm-Licht als Einheit und anderes mehr. Wichtigster Punkt der Tagungsordnung dürfte die vom Berliner Polizeipräsidium in Verbindung mit Vertrauensleuten der Organisation sowie Vertretern des Werkmeisterverbandes ausgearbeitete Prüfungsordnung für Technische Vorstände gewesen sein. Danach sollte sich vorläufig jeder technische Vorstand, falls er noch nicht zehn Jahre im bühnentechnischen Betrieb tätig war, einer entsprechenden Prüfung unterziehen. Die Vorbereitungskommission bestand aus Vertretern der Bühnengenossenschaft und dem Werkmeisterverband als Vertreter der Betroffenen gegenüber den Behördenvertretern.
Die Tagungsversammlung befürwortete die Herausgabe der zusammengefaßten Prüfungsordnung in Buchform mit vielleicht folgendem Titel, Richtlinien zur Prüfung als Technische Bühnenvorstände, und brachte zum Ausdruck, dass sie möglichst umgehend reichseinheitlich Gesetzeskraft erlangen möge. Eingehend wurden dann die Beziehungen zum Verband der Gemeinnützigen Theater erörtert. Werkmeisterverband und die Berufsgruppe der Bühnengenossenschaft beschlossen in Zukunft alle Verhandlungen um Fachfragen nur noch von beiden Organisationen gemeinsam unter Einbeziehung des Bundes der Technischen Angestellten und Beamten zu führen.
Am dritten Tag der Tagung schloss sich noch eine Besichtigung des Peiner Walzwerkes in Groß-llsede an. Das Theater dieser Hütte stellte eine der ersten “Mehrzweckhallen“ nach heutigen Gesichtspunkten dar.
Ein abschließender Beschluss der Tagung befaßte sich zur Aufrechterhaltung der BTR mit einer notwendigen Nachzahlung der Bezugsgebühren im Inflationsjahr 1923. Man vereinbarte die Einsendung von 30 Goldpfennigen, deren Wert am Einzahlungstag dadurch ermittelt werden sollte, dass man den an diesem Tage geltenden Briefdollarstand durch 14 dividieren und auf volle Hunderttausend nach oben aufrunden sollte!
Die überaus positive Ausstrahlung der Augsburger Tagung bekam einen nicht unbeträchtlichen Schatten über die dort so erfolgversprechend eingeleitete Normung in der Theatertechnik durch den am 7. Februar eingetretenen Tod des Oberingenieurs Helsberg von der Maschinenfabrik Wiesbaden. Er war der Motor der geplanten Normenarbeit, die dadurch ihren ersten Rückschlag erlitt, weil sich zu nächst kein geeigneter Nachfolger finden ließ.
Eine andere wichtige Nachricht für die Berufsgruppenarbeit des Verbandes war eine in Heft 5 der BTR veröffentlichte Notiz über die 11. Jahresversammlung der Deutschen Beleuchtungstechnischen Gesellschaft, heute noch als Lichttechnische Gesellschaft bestehend, am 1. September in Dresden. Für die Berufsgruppenarbeit war ein Vortrag von Prof. E. Golberg über Die heutige Stellung der Glühlampe in der Projektionstechnik wichtig. Vor allem wurden die Wege zur Erlangung höherer Leuchtdichten angesprochen, von denen die Beleuchtungstechnik heute noch profitiert. Auch der Fortschritt der sogenannten Hochwattlampen mit zylinderförmigen Glaskolben und der darin verwendeten verschiedenen Gasfüllungen nahmen großen Raum in den Ausführungen des Vortragenden ein. Die Veröffentlichung dieser Themen in der BTR war damals ein erster Schritt in der Zusammenarbeit der beiden sonst getrennt agierenden Verbände, speziell für das Gebiet der Bühnenbeleuchtung. In diesem Zusammenhang war noch eine Notiz der AEG in einem der Hefte des Jahrganges der BTR interessant, welche auf die Einrichtung einer den damaligen Verhältnissen entsprechenden Versuchsbühne für moderne Theaterbeleuchtung hinwies und allen Theatertechnikern zur eingehenden Besichtigung empfahl.
Theatergeschichte
Trotz der wirtschaftlichen Misere und aller damit zusammenhängenden Probleme erfolgte eine beinahe unbegrenzte Bau- und Eröffnungslust von Theatern, wie einige herausgegriffene Meldungen beweisen.
Die neue Oper am Königsplatz in Berlin, die auf dem Gelände und unter Umbau des alten Kroll‘schen Theaters entstanden ist, wurde am 1. Januar eröffnet. Den Bau leitete Architekt Kauffmann, der Erbauer der Komischen Oper. Die technischen Einrichtungen projektierte der Technische Direktor der Berliner Staatsoper Unter den Linden Georg Linnebach. Der Zuschauerraum faßte 2400 Plätze, also nächst dem Großen Schauspielhaus einer der größten Berlins. Das Bühnenhaus und die Hinterbühne waren etwa 25 Meter tief (von der Rampe zur Rückwand gemessen) und 24 Meter breit, dazu kamen noch die Seitenbühnen mit zusammen 30 Metern. Es wurde das System einer Schiebebühne verwendet, um die Dekorationen der Staatsoper mit benutzen zu können. Der Orchesterraum bestand aus drei versenkbaren Abschnitten.
In einer anderen Meldung hieß es:
Am Bahnhof Friedrichstraße wurde das Theater im Admiralspalast für die Revue großen Stils eröffnet. Der Zuschauerraum mit 3000 Sitzplätzen stellte damit Berlins größtes Revuetheater dar. Die bisherige Bühne des Admiralspalastes wurde der neuen Verwendung entsprechend umgebaut. Das Theater wurde ursprünglich im Jahr 1911 als ein Theater für Operette und Singspiele eröffnet. 1918 wurde es geschlossen und nach der Übernahme durch neue Betreiber für deren Zwecke umgebaut.
Im Klindworth-Scharmenka-Saal wurde eine neue Bühne mit 700 Sitzplätzen als Theater in der Lützowstraße eröffnet.
Im Schwechtensaal wurde eine neue Bühne unter dem Namen Das Theater eröffnet.
Das neue Friedrichstheater in Dessau, welches das abgebrannte Dessauer Landestheater ersetzen sollte, wurde soweit fertiggestellt, dass es am 1. Februar eröffnet werden konnte.
Unter dem Namen Kleines Lustspielhaus wurde in Hamburg am 1. März in den Räumen des früheren Kleinen Theaters eine neue Bühne eröffnet.
Das Kurtheater in Ober-Schreiberhau im Riesengebirge wurde vollständig umgebaut, Zuschauerraum sowie Bühne vergrößert und mit einem Orchestergraben ausgestattet.
Der Nürnberger Stadtrat beschloß, das alte Stadttheater, einen hübschen Empirebau, auszubauen und als Städtisches Schauspielhaus umgehend in Betrieb zu nehmen. Im Landestheater in Oldenburg wurden während des Sommers die Bühne und der technische Apparat neu gestaltet. Ein Rundhorizont wurde, unter Leitung des Direktors Hasait vom Dresdner Opernhaus, eingebaut. Das Kammerspielhaus im Festsaal des ehemaligen großherzoglichen Schlosses soll im Herbst fertiggestellt werden. Eine neue Industriestadtbühne in Oberhausen entstand Ende September durch die Vollendung des Stadttheaterumbaus.
Ein neuer Theaterbau, das lnterimstheater im Drei-Reiterhaus in Prag, wurde umgebaut und eröffnet.
Die erste Drehbühne in Frankreich wurde im Grand Theatre von Lyon installiert, welche aber durch Kritiker und Regisseure stark bemängelt wurde. Erstere beanstandeten, dass während der Vorstellung auf dem, dem Publikum abgewandten Teil, die Theaterhandwerker beim Umbau der Szene zuviel Geräusch gemacht hätten. Regisseure beanstandeten, dass obwohl die Dekorationen innerhalb von nur drei Minuten vollständig stehen, trotzdem eine Pause von einer viertel Stunde eingelegt werden müsse, damit Künstler und Orchestermitglieder sich zwischen den Akten etwas erholen könnten. Außerdem seien großräumige Szenen auf der Drehbühne völlig unmöglich. Trotz dieser Mängelbekundungen hat sich auch in Frankreich die Drehbühne sowohl als dramaturgisches Spielmittel als auch als Verwandlungshilfe im Laufe der folgenden Jahre erfolgreich durchgesetzt.
Ein anderes Thema, welches zum Hintergrund der Verbandsarbeit gehört, waren die zahlreichen Theaterbrände kleineren und größeren Ausmaßes, die in vielen Fällen durch Nichtbeachtung der für Theater bestehenden Sicherheitsvorschriften entstanden. Die allein in den letzten beiden Jahren aufgetretenen Brände der Theater in Hannover, Dessau und Wiesbaden sollten Warnung sein, die Sicherheitsvorschriften auf das Sorgfältigste einzuhalten, wie der Berliner Polizeipräsident in einem Aufruf amtlich mitteilte. Besonders der zuletzt genannte Wiesbadener Theaterbrand, welcher sich am 18. März ereignete, hatte wegen der Totalvernichtung des Bühnenhauses großes Aufsehen erregt. Der Hansing‘sche Bericht darüber in Heft 2 der BTR war sehr ausführlich und beschrieb die Schadenssituation auf das Genaueste. Der zukünftige Einbau von automatischen Feuermeldeanlagen, der aufgrund des Wiesbadener Brandes dringend gefordert wurde, konnte sich aber nicht durchsetzen, weil derartige Anlagen während einer Vorstellung die sich im oberen Bühnenturm bildende Stauhitze der Beleuchtungsgeräte usw. eine dauernde Alarmgebung verursacht hätten. Die oberste Grenztemperatur solcher Geräte lag unterhalb der in diesen Höhen auftretenden Celsiusgrade. Trotzdem wurde die Diskussion über dieses Thema immer wieder aufgegriffen.
Das Umfeld
Deutschland hatte sich, um die Kriegslasten finanzieren zu können, bei seiner Bevölkerung hoch verschuldet (Kriegsanleihen, Edelmetallabgaben usw.). Nach dem verlorenen Krieg kamen die von den Alliierten auferlegten Reparationskosten dazu, welche in harter Währung, das heißt in Goldmark, zu entrichten waren. So erhöhte die Reichsbank einfach die umlaufende Geldmenge durch Papiergeldneudrucke, was natürlich den Wert der Mark total verfallen ließ. Es kam zu einer galoppierenden Geldentwertung, der “Inflation“.
Die Franzosen besetzten ab Januar das gesamte Ruhrgebiet einschließlich der weiter südlich gelegenen linksrheinischen Gebiete bis Mainz. Diese Besetzung sollte sich bis 1930 hinziehen. Als Folge davon brach die deutsche Wirtschaft in diesen Gebieten völlig zusammen. Allein bis 1932 erfolgten 122 Stillegungen von Zechen im Ruhrgebiet. Trotz passiven Widerstands der Reichsregierung, Stillegung vieler Betriebe und Streiks der Eisenbahner, musste das Reich die Bevölkerung des besetzten Gebietes finanziell voll unterstützen, was den Staat täglich(!) 40 Millionen Goldmark kostete. Dadurch wurde die Inflation zusätzlich angeheizt und erreichte 1923 ihren absoluten Höhepunkt. Der Verfall der Reichsmark war am besten gegenüber dem US-Dollar festzustellen, welcher sich Anfangs von Monat zu Monat, später von Woche zu Woche und schließlich im Höhepunkt der Inflation von Stunde zu Stunde eines Arbeitstages veränderte. Am 20. November musste man für einen US-$ 4.200 Milliarden RM hingeben. Endlich begannen dann die Bemühungen die Inflation zu bremsen. Diese führten Anfang Dezember durch Schaffung der sogenannten “Rentenmark“ zum Ende der Inflation. Zu diesem Zeitpunkt wurde 1 US-$ gleich 4,20 Rentenmark festgesetzt. Das auffallendste Kennzeichen der neuen Lage war die erstaunliche Ruhe und Besserung, die unter der Berührung des Zauberstabes der Währungsreform und damit der Währungsstabilität eintrat. Lebensmittel gab es plötzlich in Hülle und Fülle. Wenn auch die wirtschaftliche Entspannung eine gewisse politische Beruhigung mit sich brachte, war der Marsch zur Feldherrnhalle am 9. November in München durch Hitler und die Anhänger seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ein herausragendes Ereignis. Im Programm dieser Partei verbanden sich nationale Forderungen (Gleichberechtigung Deutschlands, Erwerb von Kolonien, Anschluß Österreichs) mit ausgesprochen sozialistischen Gedanken (Verstaatlichungen, Bodenreform, Gewinnbeteiligung der Arbeiter, Brechung der Zinsknechtschaft). Auch war der Antisemitismus als Forderung im Parteiprogramm enthalten (die Juden sollten die Staatsbürgerrechte verlieren). Hitler erließ eine plakative Proklamation an das Deutsche Volk, in welcher er die Reichsregierung als abgesetzt erklärte und eine provisorische deutsche Nationalregierung, bestehend aus General Ludendorff, General von Lossow, Oberst von Seisser und sich selbst gebildet, etablierte. Das auslösende Moment dieses Putsches sollte dieser Marsch zur Feldherrnhalle in München bilden. Hitler setzte sich bei diesem Unternehmen an die Spitze und erklärte den Sturz der Regierungen im Reich und in Bayern. Es kam aber zur Niederschlagung des Putsches und der Verhaftung der Rädelsführer, denen im März 1924 vor einem Sondergericht in München der Prozeß gemacht wurde.
Im Ausland war im Jahr 1923 als besonderes Ereignis die Ausrufung der Republik Türkei zu vermelden, als deren erster Staatspräsident Kemal Atatürk benannt wurde.
Im Jahre 1906 war es Reginald Aubrey Fessenden in Brant-Rock, Massachussets (USA) mit einem 50-kHz-Sender von 1 kW Leistung gelungen Musik und Sprache 100 km im Umkreis drahtlos zu übertragen. Dieses Datum wird als Beginn des
Rundfunkzeitalters‘ angesehen. — In Deutschland gab es die ersten Schritte durch Versuchssendungen aus dem sogenannten Voxhaus in der Potsdamer Straße von Berlin, dem bald verschiedene Sender in anderen Deutschen Städten folgten.
BTR