1930

Der Fachverband

In Heft 1 der BTR erschien der Hinweis, dass die Jahrestagung wie bisher in der zweiten Juliwoche in Hamburg stattfindet. In Heft 2 wurde das vorgesehene Programm veröffentlicht, und die Themen: Projektionstechnik (mit Vorführungen der G.K.P.-Apparate); Anwendung des Films im Sprechtheater (mit Vorführungen verschiedener Filme aus Vorstellungen); Bühnenanlagen in ŠLichtspielhäusern (Besichtigung des Großkinos im Deutschlandhaus); weiterhin Besichtigungen und Führungen. Anschließend an die Tagung sollte ein verbilligter Besuch von Kopenhagen, eventuell auch von Stockholm, mit Besichtigungen der dortigen Theater und der Architektur und Kunstgewerbeausstellung in Stockholm für Interessenten ermöglicht werden.

In Heft 2 wurde zum Thema der eigenen Berufsgruppe der Bühnenbildner ein offener Brief wiedergegeben, in dem Bühnenbildner Felix Cziossek die Trennung von Bühnenbildnern und verantwortlichen Technikern stark kritisierte und ablehnte. Einige Passagen aus diesem Brief sollten der Vergessenheit entrissen werden: 

Entscheidend für meinen Eintritt in die Berufsgruppe der Technischen Bühnenvorstände war die Hoffnung, in einer Berufsgruppe gemeinsame Ziele herauszubilden und Reibungen, welche in der Tätigkeit dieser beiden Berufsgattungen wohl unvermeidlich sind zu mildern. Zweifellos fehlerhaft war bisher, dass viele Bühnenbildner den Tagungen fernblieben. Daraus resultierte das bisherige †Übergewicht der Techniker in der Berufsgruppe. Das Bühnenbild ist nun einmal ein Arbeitsresultat verschiedener Menschen. Dabei ist klar, dass ein kameradschaftliches Zusammenarbeiten von Bühnenbild und Bühnentechniker immer eine höhere Leistung erbringt, als das verständnislose Nebeneinanderarbeiten. Die Zusammenarbeit wird aber durch eine genossenschaftliche Trennung der Berufsgruppen und das HerausschŠälen von Sonderinteressen keineswegs gefördert, sondern nur erschwert. 

Dass dieses Schreiben nicht ohne Erfolg war, ging aus einer Meldung in Heft 5 der BTR hervor: 

In der am 17. Oktober 1930 in Berlin stattgefunden Aussprache der beiden Berufsgruppen mit dem Ziel möglichst eine Vereinigung der beiden Gruppen herbeizuführen, wurde nach kurzer erfolgreicher Debatte an der sich alle Anwesenden lebhaft beteiligten, folgender Beschluss gefasst: Die Vorstände der Berufsgruppen der Technischen BŸühnenvorstände und der Bühnenbildner haben beschlossen, gemäß § 24, 4 eine Arbeitsgemeinschaft unter der Bezeichnung AusstattungsvorstäŠnde zu bilden, die in Zukunft alle Interessen der in beiden Gruppen vereinigten Bühnenmitglieder vertreten wird. Die Debatte hatte die †Überzeugung ergeben, dass die ganze dekorative und technische Arbeit, die an Bühnen geleistet wird, wohl am besten von den an dieser Arbeit Mitbeteiligten gewertet werden kann. Auch werden Tagungen dieser gemeinsamen Gruppe einem Interesse begegnen, dem sich die anderen Gruppe der Genossenschaft nicht verschliessen werden. Auch Ÿüber den Rahmen der Organisation hinaus werden wir bei staatlichen und städtischen Behörden, der Presse und der breiten Öffentlichkeit ein tieferes Verständnis für unsere Arbeit und Forderungen erwecken können.

In Heft 3 der BTR wurde das genaue Programm und der Termin der 17. BŸühnentechnische Tagung vom 10. bis 12. Juli in Hamburg veröffentlicht. FüŸr den Vortag waren Sitzungen der Normierungs- und Prüfungskommission sowie des Vorstandes angesetzt. Die Vorträge von Herren Hasait – Dresden, Hansing – Stuttgart und einem Vertreter der Siemens-Schuckert-Werke sowie des Elektro-Schalt-Werkes-Göttingen behandelten Themen der Bühnenbildprojektion, der Filme zur Verwendung bei Bühnenaufführungen, die praktisch verlustlose Regelung mit Dreh-/Wechselstrom Spezialtransformatoren (Bordoni = Siemens / Salani = AEG) und neue Bühnenlichtstellwerke mit Gemeinschaftsantrieb und gegenläufigen Stellhebeln. Zwei junge Fachkollegen und ehemalige Schüler des erkrankten Erbauers Prof. A. Linnebach – München, die Herren Dipl.-Ing. Hemmerling und Sontheimer, erhielten durch die Führungsübernahme durch das umgebaute Stadttheater die Gelegenheit, sich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Vormittag und Nachmittag des nächsten Tages waren den Sitzungen der Berufsgruppe vorbehalten, bei denen verschiedene Beschlüsse gefasst wurden: 

  1. Herr Technischer Direktor Max Hasait – Dresden wurde beauftragt, eine Denkschrift Ÿüber die „Ausbildung junger Bühnentechniker“ auszuarbeiten. 

  2. Bei der Städtischen Allgemeinen WerkstŠätten in Dresden sollten Ausbildungskurse für Anfänger der Bühnentechnik eingerichtet werden. Die Berufsgruppe würde nur diese Kurse in Dresden als von ihr anerkannt zulassen. 

  3. Das Hilfsbuch der Bühnentechnik von Hansing und Unruh soll, da im letzten Augenblick Schwierigkeiten mit dem Verleger eingetreten sind, mit Unterstützung der Genossenschaft herausgegeben werden. 

  4. Der Gruppenrat sieht sich veranlasst darauf aufmerksam zu machen, bei Abfassung von Gutachten Ÿüber Qualität von Fabrikaten sachgemäße Vorsicht walten zu lassen. Schließlich gab es als letzten Punkt das Ausfüllen zweier Fragebogen in Zusammenhang mit den anstehenden Normungsaufgaben Ÿüber Stufenmaße und Ÿüber Anzahl des technischen Personals. 

Anschließend fand die Besichtigung des Deutschlandhauses mit seiner modernen Kinogroßbühne statt, bei welcher der Konstrukteur der Bühne, Herr Dipl.-Ing. W. Unruh – Mannheim, eine Einrichtung geschaffen hatte, die in ausgezeichneter Weise die rasche Aufeinanderfolge der einzelnen Teile einer Bühnenschau gewährleistet. Erstaunt war man Ÿüber die bei der Größe des Zuschauerraumes (fast 3000 Sitzplätze) ausgezeichnete Akustik.

Neben weiteren Besichtigungen, Führungen und einer Hafenrundfahrt fand die im Programm ab Samstag vorgesehene Dänemark- und Schwedenreise besondere Beachtung. Obwohl diese 11-tägige Reise einschließlich Fahrt, voller Verpflegung und †Übernachtung nur 260,- RM kostete, konnten wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage nur einige Kollegen daran teilnehmen. Der Dank galt vor allem den dänischen und schwedischen Kollegen. Sie alle bemühten sich, diese Tage so erlebnisreich wie möglich zu gestalten.

Eine Neuerung gab es im Berichtsjahr bei der BTR: Allen wichtigen Artikeln zu Themen der Bühnen- und Beleuchtungstechnik wurde ab dem Jahrgang 1930 eine kurze Inhaltsangabe des jeweiligen Beitrages in Englischer Sprache vorangestellt. Das war ein Entgegenkommen für die ausländischen Kollegen, besonders in Amerika, wo die BTR einen großen Abonnentenstamm hatte.

In Heft 4 und den folgenden wurden die verschiedenen Vorträge der Hamburger Tagung vollständig nachgedruckt. Sie sind wegen ihrer grundsätzliche Aussage zu den bühnen- und beleuchtungstechnischen Vorgängen, auch wenn sie heute nicht mehr dem technischen Standard entsprechen, insbesondere für die jungen, in den Beruf tretenden Kollegen von größter Wichtigkeit. Es wird ihnen darin ein Basiswissen zu Dingen vermittelt, welches den heute in Gebrauch stehenden Technologien zugrunde liegt, und ohne welche diese undenkbar wären. Im Heft 5 der BTR erfolgte nochmals ein Aufruf zur Bestellung des Hansing – Unruh’schen Hilfsbuches der BŸühnentechnik. Die beiden Verfasser hatten Wert darauf gelegt, dieses Hilfsbuch so preiswert wie nur möglich in den Handel zu bringen, damit den Nutzern die Kaufentscheidung erleichtert wŸürde. Dank der zugesagten Garantie durch das Präsidium der Genossenschaft und dem Entgegenkommen der Druckerei der BTR, der Firma Holzinger & Co. in Stuttgart, wurde es möglich, das Buch bis zum 15. Dezember herzustellen und durch die Geschäftsstelle der BTR zum Versand zu bringen. Ein weiterer Beweis für die in der damaligen Notzeit notwendige Eingliederung des selbstŠständigen Verbandes als Berufsgruppe in die GDBA, ohne deren weitreichende Einflüsse solche Dinge nicht möglich gewesen wären.

Im Zusammenhang damit stand auch eine Notiz in Heft 6 der BTR Ÿüber die Wahl eines Vertreters der Berufsgruppe in den Verwaltungsrat der Genossenschaft. Die Berufsgruppe der Technischen Bühnenvorstände ist die tätigste in der Genossenschaft und hat mit ihren Tagungen eine große werbende Kraft in die Öffentlichkeit. Als Mitglied und Sprecher der Berufsgruppe im Verwaltungsrat wurde der Kollege Pils aus Stuttgart zum Vorschlag gebracht. Im Zusammenhang mit diesem Aufruf erschien zum ersten Mal der Name Max Ailinger, der nach dem zweiten Weltkrieg von der Hamburger Staatsoper aus als wichtiger Gewerkschafter der Genossenschaft die Interessen der technischen Mitglieder nachhaltigst vertrat und dem viele der Šälteren Berufskollegen zu großem Dank verpflichtet waren.

Wie bereits 1919 erwähnt, erschien im Mai im Verlag J. Springer – Berlin ein Hilfsbuch der Bühnenbeleuchtung als Band 1. Es enthält die geltenden Prüfvorschriften für die Eignung zum Beleuchtungsmeister (-inspektor) in den verschiedenen Ländern. Auszüge aus der Polizeiverordnung Ÿüber die bauliche Anlage und den Betrieb von Theatern, desgleichen die wichtigsten der Errichtungsvorschriften des VDE, vor allem diejenigen für Starkstromanlagen in Theatern, die Betriebsvorschriften des VDE, Auszüge aus den Unfallverhütungsvorschriften der gemeindlichen Unfallversicherungen und der Berufsgenossenschaften, die Anleitung zur ersten Hilfeleistung bei Unfällen, Leitsätze für die Bekämpfung von Bränden. Außerdem werden in etwa 200 Fragen und Antworten das gesamte Gebiet der Bühnenbeleuchtung, einschließlich der Grundgesetze der Elektrizität, der Stromarten, der Spannungen und Schaltungen, der Erzeugung, Umwandlung, Verteilung und Verwendung der elektrischen Energie eingehend behandelt. Auch die Optik und die Anwendung der einzelnen Bühnenleuchten werden hierbei berücksichtigt. Als letzten Abschnitt bilden Rechenaufgaben und ihre Lösungen eine wertvolle Bereicherung des Buchinhaltes. Die Verfasser Dipl.-Ing. W Unruh – Mannheim und F. Hansing – Stuttgart, bereiten zur Zeit ein gleiches Hilfsbuch über die mechanischen und maschinellen Einrichtungen der Bühne vor.

Eine weitere Meldung befasste sich mit Kranichs BŸühnentechnik der Gegenwart. Er bat für das erste Kapitel des zweiten Bandes im Laufe der Spielzeit alle Wünsche, in Form von Beschreibungen, Zeichnungen oder – wenn möglich – guten Abbildungen zuzustellen und ihm jetzt eine kurze Benachrichtigung Ÿüber den zu erwartenden Stoff zukommen zu lassen.

Im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Buch Fr. Kranichs, war noch die Meldung interessant, dass der Obermaschineriedirektor der Festspiele, Fr. Kranich , dessen Vater schon vor ihm diesen Posten jahrelang innegehabt hatte, die ganze Sammlung von Bühnenmodellen der Festspiele, welche sich in Hannover im Besitz der Familie befanden, der Stadt Bayreuth für das Richard-Wagner-Museum zum Geschenk gemacht hatte. Dem Stifter wurde deshalb die silberne Bürgermedaille der Stadt Bayreuth verliehen.

Theatergeschichte

In Mönchengladbach wurde die 1928 erbaute Stadthalle zu einem Operntheater umgebaut und im Oktober wieder in Betrieb genommen.

Das Projekt eines neuen Berliner Theaters soll realisiert werden. Es sind Schauspiel- und Operettenaufführungen geplant; der Bau soll 1800 PlŠätze erhalten.

Nach den verschiedentlich erfolgten Einbauten von Drehscheiben in Theatern, hat nun auch das Stadttheater Würzburg nach PlŠänen des technischen Leiters Hans Weyl eine Drehscheibe eingebaut.

Eine Prüfung des Bonner Stadttheaterbaues ergab, dass der Bau keineswegs mehr den bau- wie feuertechnischen Anforderungen entsprach. Man erwog zunächst die Schliessung des Theaters, hat sich aber dann entschlossen, einige Abänderungen durchführen zu lassen, welch gestatten noch zwei Jahre im gleichen Hause zu spielen.

Im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen an den Theatern gewann eine Nachricht besonderes Interesse: Bei den Aufführungen der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bert Brecht von Kurt Weill stellte der Verlag Universal Edition den Bühnen bei diesem Werk außer dem Notenmaterial auch die von Caspar Neher zu diesem Werk entworfenen 30 Projektionstafeln leihweise zur Verfügung. Die Inszenierungskosten, welche auf diese Weise den Bühnen erwuchsen, waren minimal, gemessen an den sonst für Novitäten notwendigen Beträgen.

Der Leiter des Instituts für Theaterwissenschaft an der Universität Köln, Dr. Carl Niessen, wurde vom Minister für Wissenschaft und Kunst zum außerordentlichen Professor ernannt. Man hofft, daß die Absicht, Köln ein umfassendes Theatermuseum zu geben, bald in Erfüllung gehen möge. Professor Niessen will auch die Geschichte der Bühnentechnik, soweit sie durch erreichbares Anschauungsmaterial darzustellen ist, aufzeigen. Dazu sollte ihm jede Unterstützung aus den Kreisen der Berufsgruppe gerne und selbstverständlich gewährt werden. Niessen hat dann auch in dem vorgegebenen Sinne eine enorm große und wertvolle Sammlung zusammengestellt, welche weltweit große Beachtung fand. Leider, muß man heute sagen, wurde diese Leistung nach seinem Tode, unter dessen Nachfolgern derart vernachlässigt, daß man heute nur noch von einem miserabel verwalteten Torso sprechen kann. Um von dort, mittlerweile in Schloß Wahn bei Köln untergebracht, fachlich begründetes Material und entsprechende Auskünfte zu erlangen, muß man sich – wie auch bei dieser Chronik geschehen – auf monatelange Wartezeiten einstellen. Außerdem lassen die dort Verantwortlichen und die mitarbeitenden Studenten wenig Begeisterung an ihrer Arbeit erkennen. Schade! Daß es auch anders geht, beweist dazu im Gegensatz das Münchener Theatermuseum der ehemaligen Clara- Ziegler-Stiftung, das ihre Kunden zuvorkommenst bedient und sich der Wünsche der Kunden aufs intensivste annimmt. 

Unter dem Titel: Die Finanznot der städtischen Bühnen stellte der Deutsche Städtetag in einer Untersuchung fest, daß sich das etwa 60 Millionen betragende Defizit der städtischen Theater gegenüber dem Vorjahr um etwa 25% vermehrt habe. Im Vergleich zum Ausland sei insbesondere eine Anschwellung der Ausgaben in der Oper geltend zu machen. Die gegenwärtige Krise zeige außerordentliche Beanspruchung der Etats durch die Orchester mit 28%, der Opernsolisten mit 18,7%. Erst an dritter Stelle erschien der Aufwand für den technischen Betrieb/Personal mit 17,9%. Man empfahl unter anderem zur Abhilfe: Rationalisierung durch wirtschaftlichere Betriebsführung, Einsparungen durch Kooperationen. 

Von polnischer Seite wurde beabsichtigt, in Oppeln (O-Schlesien) ein eigenes polnisches Theater zu errichten. Es wurde bereits ein Grundstück von 100.000 Mark erworben, auf dem das neue Theater errichtet werden soll.
Der Stadtrat und das Kreisvollzugskomitee von Charkow (Ukraine) hatten einen internationalen Wettbewerb zur Erlangung von Plänen für ein ukrainisches Staatstheater ausgeschrieben. Dieses Theater soll Raum für 4000 Besucher bieten. 

Unter der Bezeichnung: N. V. Groote Schouwbourg hat sich in Amsterdam ein Syndikat zur Errichtung eines großen modernen Theaters mit allen Errungenschaften der modernen Technik gebildet. Die Kosten sind mit 6 Millionen Gulden veranschlagt; das Theatergebäude soll zwei Theatersäle erhalten. 

Der Lord-Mayor von London hat in einer Rede den Vorschlag gemacht, die Stadt London solle ein eigenes Opernhaus bauen.
Das Bergener Stadttheater (Norwegen) wurde von einem Großbrand zerstört, dabei konnte der Zuschauerraum ziemlich unbeschädigt erhalten werden. Vom Bühnenhaus blieb allerdings nur ein Skelett übrig. 

Das Umfeld 

Das Jahr 1930 läutete das Ende des parlamentarischen Systems im Deutschen Reich ein. 

Am 27. März erfolgte die Auflösung der bestehenden großen Koalition unter dem Reichskanzler Müller (SPD), der mit seinem Kabinett wegen der Nichteinigung über die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge gezwungen wurde zurückzutreten. Reichspräsident von Hindenburg ernannte am 29. März den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler, dessen neugebildete Regierung des sogenannten Bürgerblocks aber keine Mehrheit im Parlament besaß. Trotzdem brachte Brüning eine Vorlage zur Sanierung von Staatshaushalt und Sozialversicherung ein. Der Reichstag als Parlament lehnte diese Vorlage ab. Kommunisten, SPD, Deutschnationale und die Nationalsozialisten stimmten mehrheitlich dagegen. Daraufhin erhielt Brüning vom Reichspräsident die Zusicherung, seine Maßnahmen mit Hilfe von Notverordnungen durchsetzen zu können. Brüning wollte den Staat nicht völlig verschulden, er verordnete deshalb eiserne Sparsamkeit. So vergab die öffentliche Hand keine Aufträge mehr an die Industrie, senkte die Fürsorgesätze, Arbeitslosenhilfe und die Beamtengehälter. Jeder, der noch Arbeit hatte, musste Lohnkürzungen hinnehmen. Das minderte die Kaufkraft und vermehrte wiederum die Arbeitslosigkeit. Brünings Deflationspolitik verschärfte zunehmend die Krise. Der Reichstag konnte jedoch eine Notverordnung mit Mehrheitsbeschluss wieder aufheben. Die SPD stellte den entsprechenden Antrag. Daraufhin ließ Brüning durch den Reichspräsidenten den Reichstag auflösen. Bis zu Neuwahlen am 14. September konnte Brüning somit ohne Parlament regieren. 

Bei diesen Reichstagswahlen gewann die NSDAP 107 Mandate, statt bisher deren 12. Sie wurde damit zweitstärkste Fraktion. Dieser Umstand veranlaßte Sozialdemokraten und Demokraten, Brüning als Reichskanzler zu dulden, weil sie fürchteten, bei einer erneuten Parlamentsauflösung weitere Wählerstimmen und Mandate an die Nationalsozialisten zu verlieren. Daß diese Befürchtungen auf realen Tatsachen beruhten, ergab sich aus der Veröffentlichung einer Aussage von Hitler, welche dieser anläßlich eines Termins 1930 vor dem Reichsgericht in Leipzig gegeben hatte: 

Die nationalsozialistische Bewegung wird in diesem Staate mit den verfassungsmäßigen Mitteln ihr Ziel zu erreichen suchen. Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden, nicht aber das Ziel vor. Wir werden uns auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Köšrperschaften zu erlangen suchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu gießen, die unseren Ideen entspricht. 

Diese Aussage Hitlers hätte eigentlich bei den verantwortlichen Politikern der demokratischen Parteien die Alarmglocken schrillen lassen müssen.

Trotz der wirtschaftlich und politisch desolaten Lage erlebten, wie schon in den Vorjahren, Forschung, Wissenschaft und Kunst Höchstleistungen und enorme Fortschritte, die zu Veränderungen in der Lebensweise der Menschen, nicht nur in Deutschland, beitrugen.

Die Astronomen konnten mit der Entdeckung eines neuen Planeten am Šäußersten Rand unseres zur Erde gehörenden Planetensystems, des Pluto, einen großen weltweit beachteten Erfolg verbuchen.

In verschiedenen LŠändern Europas, sowie in den USA war man eifrigst bemüht, das neue Medium Fernsehen aus seinem Kinderschuhdasein zu erlösen. So gelangen in diesem Jahr in den USA erste Versuche eines „Farbfernsehens“ in der gleichen additiven Methode der drei Farben blau – rot – grün – wie beim Farbfilm, aber technisch komplizierter, so dass die ersten Ergebnisse nicht befriedigend waren. Aber man konnte ab jetzt auf der rein elektronischen †Übertragungsweise aufbauen und erzielte auch bei drahtloser †Übertragung Ÿüber UKW-Sender oder Koaxialkabel erstaunlich gute Erfolge.


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