1942

Der Fachverband

Auch in diesem Jahr blieb die Trennlinie zwischen der Basis der im Berufsalltag stehenden Bühnentechniker und dem Vorstand Linnebach in seiner Ostiner Einsamkeit weiter bestehen, wenn sie sich nicht sogar noch vergrößerte. Trotzdem wurde von der Verbandsleitung versucht, die im Raum stehenden Berufsfragen zu erörtern und, wenn möglich, zu lösen. Die dazu notwendige Öffentlichkeitsarbeit erfolgte ausschließlich Ÿüber die Bühnentechnische Rundschau. Durch Papiereinsparung und sonstige kriegsbedingte Schwierigkeiten war es nicht verwunderlich, dass Heft 1 und Heft 2 noch als eigenständige Nummernhefte ausgeliefert wurden, in der Folge aber Doppelhefte, mit geringerer Seitenzahl erschienen, im Oktober Heft 3-4, im Dezember Heft 5-6. 

Interessant und gelungen waren zwei mehrseitige Beiträge Ÿüber die Ausstattungslösungen der Vorstellung des Mozartschen Don Giovanni an zwei unterschiedlichen Theatern. In Heft 1 schrieb Walther Unruh Ÿüber die Ausarbeitung der Entwürfe von Caspar Neher in der Hamburger Inszenierung von Alfred Noller. In Heft 2 wurde Ÿüber die Inszenierung des gleichen Werkes im Landestheater Coburg berichtet. Dazu gab es eine Anmerkung der Schriftleitung: 

Wenn einmal die Inszenierung des gleichen Werkes auf der großen, mit modernsten maschinellen Hilfsmitteln ausgestatteten Bühne der Staatsoper Hamburg gezeigt wurde, so bietet die Inszenierung auf der bescheidenen und veralteten Bühne des Coburger Landestheaters bei kriegsmäßig bedingtem Personalmangel ein treffendes Beispiel dafür, wie durch gute Zusammenarbeit, Beschränkungen im Materialaufwand und Hingabe aller Beteiligten an das Werk, sehr beachtliche Aufführungen herausgebracht werden können.

Ebenfalls im Heft 1 gedachte man in einem Aufsatz unter der †Überschrift: Vor 50 Jahren siegte der Drehstrom, der damals in den meisten deutschen Städten erfolgten Umstellung der elektrischen Energieversorgung von Gleichstrom der Anfangsjahre der Elektrizität zum Dreh-/Wechselstromsystem. Des weiteren befaßte sich die Schriftleitung mit fachbezogenen Darstellungen, wie zum Beispiel Ÿüber die Dampf- und Rauch- oder Geschwindigkeitsregelungen von Bühnenmaschinen.

Bezugnehmend auf die im letzten Berichtsjahr angesprochene Vernachlässigung der Masken- und Kostümbildner durch den Verbandsvorstand und die BTR Schriftleitung, veröffentlichte man im Heft 1 einen kurzen Aufsatz über Römische Theatermasken und Kostüme. Anzusprechen wäre noch ein Schreiben des damaligen Technischen Direktors des Schillertheaters in Berlin, Georg Linnebach, an seinen Chef Heinrich George in dem er diesem seine Grundvorstellungen zum Nachwuchsproblem darstellt. Georges handschriftlicher Kommentar auf diesem Schreiben lautete: Brav Herr Linnebach, jeder Bühnenarbeiter ist nicht nur ein Handwerker, sondern ein ‚Kunsthandwerker‘ am Schillertheater. 

Das Kuriose an diesem Schreiben ist sein Auftauchen nach 55 Jahren. Georg Linnebach hatte wahrscheinlich damals eine Abschrift an Adolf Linnebach zum Veröffentlichen gesandt, die anscheinend wegen Platzmangels nicht zustande kam. Erst bei den zu dieser Chronikarbeit einsetzenden Recherchen tauchte eine Fotokopie dieser Abschrift bei der ThG und eine weitere aus den Akten Helmut Großers auf. 

Zu einem anderen heute noch immer diskutierten Thema, dem Instrumententransport durch Bühnenhandwerker, schrieb Christian Schott – Hamburg, unter dem Titel, Transport von Musikinstrumenten durch das Bühnenpersonal. Er fasste seine Ermittlungen folgendermaßen zusammen: 

1.Die Berufsgenossenschaft muss unter allen Umständen für Körperschäden, die versicherten Personen beim Transport von Flügeln und Klavieren im Auftrage des Unternehmers erleiden, eintreten; Sachschäden an Instrumenten werden selbstverständlich von der reichsgesetzlichen Unfallversicherung nicht betroffen.
2. Die Unfallverhütungsvorschriften enthalten keine Bestimmungen, nach welcher der Transport von Flügeln und Klavieren durch Bühnenhandwerker unzulässig ist.

Ein Bericht des Technischen Direktors der städtischen Bühnen Magdeburgs, Max Pikocz, unter dem Titel: DIN 25 Jahre Normung, galt der Arbeit des Normenausschusses der Deutschen Industrie. Seit 25 Jahren habe er wertvolle Arbeit für die Allgemeinheit geleistet. 

Die Deutsche Technik machte mit der Gründung des Normenausschusses den ersten und entscheidenden Schritt vom Eigensinn zum Gemeinsinn; sie befreite ihre Aufgaben von der Einengung auf das Einzelwerk und stellte sie in die Zusammenhänge des Gemeinwohles. Von dem großen Werke der Normung sei nun die Bühnentechnik leider gar nicht, oder besser gesagt, nur wenig berührt worden, dabei würde sie für alle Beschäftigten unschätzbare Erleichterungen bringen. Die ersten Schritte hierzu seien von der Deutschen Bühnentechnischen Gesellschaft bereits unternommen worden. Leider stehen noch immer wichtige Partner abseits. Wie auf allen anderen technischen Gebieten die Normung Gemeinschaftsarbeit war und noch ist, müsste sie auch auf bühnentechnischem Gebiet eine große Gemeinschaftsleistung der deutschen Bühnentechniker und der Fachingenieure der Industrie, vereinigt in der Deutschen Bühnentechnischen Gesellschaft, werden. 

Das Thema war in Theaterfachkreisen wenig beliebt, weil es ja mit zusätzlicher Arbeit verbunden war. Lediglich die Ingenieurseite der theaterbeliefernden Industrie war an der Normung stark interessiert, brauchte aber dazu die Mitarbeit der Vorstände und Techniker in den Theaterbetrieben. Dem stand der Konservativismus des Theaterbetriebes entgegen, der behauptete, dass mit der Normung die künstlerische Freiheit, vor allem der Ausstatter, eingeengt würde.

Linnebach beklagte im Nachrichtendienst der DBG wieder einmal, dass die Mitarbeit zu wünschen Ÿübrig lasse und schrieb dann unter anderem: 

Oft erhalten wir Anfragen, warum Ÿüber dies oder jenes Ereignis in einem Theater kein Bericht in unserer Zeitschrift erschien, warum vergessen wurde besondere Arbeiten unserer Fachkameraden zu würdigen oder auf Persönliches einzugehen. Der Grund für das Ausbleiben solcher Berichte liegt allein an unseren Mitgliedern. Es wird vergessen, dass die Schriftleitung jeder Zeitschrift auf Nachrichtenquellen angewiesen ist.

Eine Mitteilung in Heft 2 betrifft die Lehrgänge der Reichstheaterkammer in der Städtischen Ingenieurschule Dresden für Theater- und Beleuchtungsmeister. Daraus ging unter anderem hervor, dass für Teilnehmer mit ungenügenden mathematischen Kenntnissen ein Vorkursus am 15. Juni 1942 in der Ingenieurschule Dresden beginnen würde. 

Aus dieser Meldung konnte man entnehmen, dass diese Lehrgänge zwar von Max Hasait geleitet, aber von der Reichstheaterkammer offiziell durchgeführt wurden, was aus früheren Veröffentlichungen nicht so eindeutig zu entnehmen war. Im gleichen Zusammenhang stand im selben Heft eine große Anzeige vom Deutschen Theater in Prag, worin für einen Kursus der Lehrschule der Generalintendanz der deutschen Theater in Prag für Bühnenfacharbeiter geworben wurde. Angeboten wurde ein dreijähriger Lehrgang für Dekorationsmaler, Kascheure, technische Assistenten, Theaterschneider und -schneiderinnen. Außerdem Kurzkurse zur Weiterbildung: Zwei wöchentliche Kurse für Theaterdekorateure, Requisiteure, Rüstmeister und Beleuchter. Dazu waren die entsprechenden Lehrpläne erläutert.

Personalien

 Im letzten Heft des Jahres lesen wir, unter den Ehrungen und Auszeichnungen auch einen Nachruf von Linnebach: 

Im Alter von fast 85 Jahren ist ein Veteran der Bühnentechnik, Johann Sehnke in Halle a.d.S. verstorben. Er war fast 50 Jahre am Stadttheater in Halle tätig, der Bühne, die bekanntlich die erste in Deutschland war, die nach dem Ringtheaterbrand in Wien, nach dem neuen Asphaleiasystem eingerichtet worden war. Sie war zur Zeit ihrer Erbauung neben der Bühne des Opernhauses in Budapest, die modernste Anlage, die es damals gab. Trotz ihrer verhältnismäßig geringen Größe konnte man dort viele Jahrzehnte lang Aufführungen erleben, die in szenisch-technischer Hinsicht den Vergleich mit den ersten Bühnen nicht zu scheuen brauchten. Halle war manche Jahre eine Art ‚Dependance‘ des Wiesbadener Hoftheaters, wo unter Wilhelm II. die damals weltberühmten Opernfestspiele stattfanden. Diese waren für den rührigen Halleschen Theaterdirektor immer das maßgebende Vorbild für gleiche Aufführungen, die er in Halle veranstaltete . … 

Mit diesem Nachruf wurde ein Stück nicht unbedeutender Theatergeschichte dargeboten, welche für Manchen vielleicht von Interesse war. Einen ganz anderen Nachruf gab es in Heft 2, Ulrich Roller, Bühnen- und Kostümbildner der Wiener Staatsoper, der im Alter von 30 Jahren als SS – Sturmmann im Osten gefallen war und Ÿüber den eine Laudatio des Wiener Tageblattes zitiert wurde, in dem es unter anderem heißt:

… Der junge Künstler schloss sich schon in der illegalen Zeit der NSDAP an und wurde als Teilnehmer an der Juli-Erhebung des Jahres 1934 ein Opfer der Systemjustiz. Nach zweijähriger Kerkerhaft holte Frau Winifred Wagner den jungen Künstler nach Bayreuth, wo er als einfacher Bühnenarbeiter in der Kulissenwelt seines Vaters, Alfred Roller, wirkte. An der Charlottenburger Oper in Berlin lernte Roller Anton Baumann kennen, der ihn nach dem Umbruch an die Wiener Volksoper holte. An der Wiener Staatsoper, an welcher der Künstler fest verpflichtet war, sind seine Dekorationen nicht vergessen. Roller, der den Blutorden der Bewegung (NSDAP) trug, war ein bescheidener, stets hohen Idealen verschriebener Kämpfer in seiner politischen und soldatischen Haltung. 

Zum Ende dieses Berichtsjahres sei noch eine BTR-Notiz vermerkt, in der Linnebach mit nicht geringem Stolz berichtete, dass das Hilfsbuch der Bühnentechnik von F. Hansing und Dipl.-Ing. W. Unruh nunmehr in zweiter, ergänzter und korrigierter Auflage in einem zusammenhängenden Band, zum Preis von 8,- RM neu erschienen ist. Das 444 Seiten umfassende, solid gebundene Hilfsbuch enthält außer allen geltenden Vorschriften für Unfallverhütung, Brandbekämpfungsmaßnahmen, Prüfungsbestimmungen etc., den fachwissenschaftlichen Teilen der Bühnenmaschinerie und -beleuchtung, ein bühnentechnisches Wörterverzeichnis in Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, sowie einen gedrängten geschichtlichen Abriss der Bühnentechnik. Dieses Hilfsbuch der Bühnentechnik hat bis 1969 keinen entsprechenden Nachfolger gehabt und deckte damit neben den klassisch zu betrachtenden beiden Kranich – Bänden: Bühnentechnik der Gegenwart (1929 + 1933) und dem von Hermann Jenny – Basel 1924 herausgebenden Hinter den Kulissen, das Thema Bühnentechnik allein ab.

Auch am Ende des Berichtsjahres 1942 bleibt festzuhalten, daSS die Verbandsarbeit trotz aller Kriegsbehinderungen eigentlich insgesamt positiv verlief. Es wurden Themen angepackt, welche zwar alle noch nicht zum Ziel führten, aber doch den richtigen Weg wiesen, auf dem die Verbandsarbeit fortgesetzt werden sollte.

Theatergeschichte

Wesentliches an Um- und Neubauten spielte sich fŸür den Theaterbereich fast ausschließlich nur noch in den besetzten Gebieten ab. Im Altreich führten die Luftangriffe auf die Großstädte immer häufiger zu Beschädigungen und teilweise vielen Zerstörungen der Theatereinrichtungen. Die theaterbeliefernde Industrie hatte vollauf damit zutun, trotz Materialmangels und sonstiger Kriegseinschränkungen, die auftretenden Schäden soweit zu beseitigen, dass einigermaßen weiter gespielt werden konnte. Die schon erwähnten vor dem Eisernen Vorhanglösungen halfen immer mehr Fällen überhaupt einen Spielbetrieb in den angestammten Häusern weiterzuführen, soweit die Zuschauerbereiche von den Luftangriffen verschont geblieben waren.

Das Umfeld

Die sowjetische Gegenoffensive vor Moskau ließ erkennen, dass die Rote Armee durch einen Blitzkrieg nicht zu schlagen war. Der Eintritt der USA in den Krieg hatte die Kräfteverhältnisse endgültig zugunsten der Alliierten verschoben. Roosevelt, zum dritten Mal als Präsident bestätigt, hatte ein „Leih- und Pachtgesetz“ durchgesetzt, das ihn zu unbegrenzten Lieferungen an die Verbündeten ermächtigte. Auch die Sowjetunion erhielt erhebliche Mengen an Kriegsmaterial, welches sie Ÿüberhaupt erst in die Lage versetzte, eine Gegenoffensive zu starten.

Ab 1942 begann der gezielte Bombenkrieg englischer und amerikanischer Luftflotten gegen die Wohnviertel deutscher Städte, dem bis Kriegsende 593.000 Menschen zum Opfer fielen. Die Bomben zerstörten auch viele Theater bis auf die Grundmauern. Aber nicht die Zerstörungen von Wohnungen, nicht der Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung, schwächte die deutsche „Kampfkraft“, sondern erst die gezielten Angriffe auf deutsche Industrieanlagen, besonders auf die Treibstoffproduktion und auf die Verkehrswege.

Im November brachten Amerikaner und Briten starke TruppenverbŠände nach Marokko und Algerien, um Rommels Afrikakorps zu vernichten. Es war bis 100 km vor Alexandria vorgestoßen; der Suezkanal, als wichtigste Schifffahrtsstraße, und die Gebiete des nahen Ostens schienen durchaus erreichbar.

Die deutsche Sommeroffensive in Russland führte an der südlichen Ostfront schließlich bis nach Stalingrad und in den Kaukasus. Im November durchbrachen die sowjetischen Truppen die völlig Ÿüberdehnten Frontlinien der Deutschen und ihrer Verbündeten bei Stalingrad und kesselten die 6. Armee mit 220.000 Mann ein. Sie musste auf Befehl Hitlers um jeden Preis aushalten und durfte nicht aufgeben.  Um die Vernichtung unwerten Lebens , wie die Nazis es bezeichneten, besser zu organisieren, tagte im Januar die Wannsee-Konferenz. Im Protokoll dieser Konferenz las sich das etwa folgendermaßen: 

… An Stelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. … Unter entsprechender Leitung sollen sie im Zuge der Endlösung in geeigneter Weise zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der verbleibende Restbestand wird entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.

Die Vernichtungsaktionen in den besetzten Gebieten des Ostens wurden Ÿüberwiegend von den dazu aufgestellten SS-Polizeieinheiten durchgeführt. Es beteiligten sich aber auch Wehrmachtseinheiten an diesem Völkermord. Aus den von deutschen Truppen besetzten Gebieten rollten die Züge mit jüdischen Männern, Frauen und Kindern in die Vernichtungslager von Sobibor, Treblinka, Majdanek und vor allem nach Auschwitz-Birkenau. Allein in Auschwitz wurden etwa 1 Million Juden umgebracht, insgesamt fielen dem Völkermord nach niedrigen Schätzungen 6 Millionen Menschen zum Opfer.

In Frankreich schlossen sich Männer und Frauen zur „Résistance“ zusammen. Im besetzten Russland, Jugoslawien und Griechenland hatten sich „Partisanengruppen“ gebildet, die ihre Kämpfe gegen die deutschen und verbündeten Streitkräfte aktivierten. In 


BTR Ausgaben 1942

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