Der Fachverband
Da der Deutsche Normenausschuss (DNA) die einzige Institution der Technik war, welche noch in Ost und West arbeiten konnte, nutzte Unruh diese Chance weitgehend für die Zwecke der Theatertechnik aus.
So ging aus seinem Bericht über die 4. Vortragsreihe Theatertechnik hervor, dass der Fachnormenausschuss Theatertechnik (FNTh) dort gleichzeitig getagt hatte. An den Sitzungen waren außer den Mitarbeitern der BRD auch Mitarbeiter der DDR vertreten, da deren Normung auch durch den DNA wahrgenommen und somit deren Theatertechnik vom FNTh mit erfasst wurde. Zu dieser Zeit unterhielt der DNA mit dem Beuth-Vertrieb auch eine Zweigstelle in Dresden, die ab April 1951 nach Berlin N 4 und seit 1953 nach Berlin W 8 in den Ostsektor verlegt wurde. Es gab folgende Fachnormenausschüsse im Osten: den FNA Feinmechanik und Optik; FNA Laborgeräte und FNA Landwirtschaft. Es war also ohne weiteres möglich die Theatertechnik betreffenden Fragen über die Ostzentrale an die Kollegen in den Theatern heranzubringen, und man war von den dortigen Entwicklungen informiert. Außerdem wurde damit Kontakt zu den Ostkollegen aufrecht erhalten, was wegen der technologischen und betrieblichen Entwicklungen wichtig war. Besonders die Benennungen theatertechnischer Einrichtungen mussten wegen der internationalen Verständigung vereinheitlicht werden, was sich als äußerst schwierig erwies.
Die 5. Vortragsreihe Theatertechnik in Essen war für Ende Januar 1956 vor gesehen worden und wurde zum Besuch empfohlen. – Für eine BTT 1956 wurde Hamburg, 1957 Berlin und 1958 Mannheim vorgeschlagen.
In Heft 5 der BTR gab Unruh eine Bekanntmachung des Ministeriums für Kultur der DDR bekannt:
Das Min. f. Kultur der DDR veranstaltet vom 29. Bis 31. Oktober 1955 in Leipzig eine Bühnentechnische Tagung für Technische Vorstände, Ausstattungsleiter usw. der Theater der DDR. Es sprechen u. a. Prof. Kurt Hemmerling, Technischer Direktor, Johannes Berndt, Deutsche Staatsoper, Technischer Leiter, Herfahrt von der Landesbühne Sachsen, über Berufsfragen und über den Stand und die Entwicklung der Bühnentechnik. Verbunden ist die Tagung mit einer Fachausstellung.
Wegen Einzelheiten solle man sich an Kollegen Knoll, Ministerium für Kultur, Hauptamt Darstellende Kunst, wenden.
Die inoffiziellen Kanäle zwischen Ost und West, was die Theatertechnik betraf, funktionierten also ganz gut.
Eine andere Angelegenheit ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert.
Jochen Perrottet der Autor der Chronik, der in Westberlin bei der Freien Volksbühne unter Vertrag stand, kannte den Technischen Direktor der Ostberliner Staatsoper, Johannes Berndt aus der gemeinsamen Geraer Zeit. Da die Staatsoper nun im laufenden Jahr in Betrieb genommen wurde, kamen auch eine erhebliche Zahl von Fachkommissionen aus den westlichen Staaten, um die neuen technischen Anlagen des Hauses unter fachkundiger Führung zu besichtigen. Berndt wusste, dass Perrottet außer Deutsch auch Englisch und Italienisch in Wort und Schrift beherrschte, weshalb er ihn bat, die Führungen der westlichen Besuchergruppen zu übernehmen. Man erstellte für den Beauftragten einen speziellen Hausausweis, der ein jederzeitiges Betreten des Hauses, auch bei Staatsbesuchen(!), wo normalerweise kein Fremder das Haus betreten durfte, gewährleistete. Es war eben trotz politischer Spannungen und Unterschiede vieles möglich, wenn es darum ging sich international ins rechte Licht zu setzen.
Eine weitere wichtige Mitteilung der Berufsgruppe ATuV in Heft 6 der BTR war der Bericht über eine vom Bayerischen Innenministerium angesetzte Besprechung über die einheitliche Gestaltung der Prüfungsordnung. Es sollte damit ein engerer Zusammenschluss der auf die Länder verteilten Prüfstellen erreicht werden. Außerdem stand das Thema einer dritten Prüfung für Technische Direktoren und Leiter abermals zur Debatte. – Gleichzeitig wurde bekanntgegeben, dass der Tarifvertrag für technische Vorstände zwischen der GDBA und dem DBV in Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Normalvertrag Solo abgeschlossen worden sei und in Heft 8 der GDBA – Zeitschrift Die Bühnengenossenschaft im Wortlaut wieder gegeben wurde.
Personalien
An Personalien in diesem Berichtsjahr gab es folgendes zu berichten:
Der langjährige Technische Direktor der Städtischen Bühnen Leipzig Oswald Ihrke war im April im Alter von 71 Jahren gestorben. Der Verstorbene war noch bis zwei Jahre nach Kriegsende beim Wiederaufbau der städtischen Theater in Leipzig im Amt.
Albert Ruhig, Beleuchtungsinspektor in Dresden vollendete im Mai sein 70. Lebensjahr und war damit der älteste noch im Dienst stehende Beleuchtungschef.
Eugen Vogel, Mitinhaber der Fa. Reiche & Vogel war im Oktober 75 Jahre alt gewordenen.
Theatergeschichte
Über den Bereich Theaterneu- und -umbauten gab es im Berichtsjahr folgende Neuigkeiten:
In Heft 1 der BTR berichtete Ernst Huhn, Architekt BDA, über den Theaterneubau für Das Stadttheater in Remscheid. Für die 120.000 Einwohner zählende Stadt wurde mit verhältnismäßig geringen Finanzmitteln ein respektabler Theaterbau für 2,2 Millionen DM erstellt.
Im Heft 2 der BTR gab Unruh über das von ihm theatertechnisch geleitete Projekt: Neubau des Opernhauses Köln ausführlich Bericht. Das aufgrund seiner architektonischen Gestaltung mit teilweise herber Kritik bedachte Gebäude des Architekten Dipl.-Ing. h.c. Wilhelm Riphahn wurde anhand von Modellen und Fotos bereits bei der Essener Vortragsreihe im Dezember 1954 vorgestellt.
Im gleichen Heft 2 berichtete der Architekt BDA Gerhard Weber, über die vor gesehene Gestaltung der beiden Spielstätten Großes und Kleines Haus des Nationaltheaters Mannheim.
Außerdem stellte Unruh den Entwurf zu einem Neuen Opernhaus in La Valetta (Malta) vor.
Uber eine Freiluftbühne Eva Peron in Buenos Aires gab es einen ausführlichen Bericht mit entsprechenden Abbildungen.
In den Jahren 1954/1955 wurden die gesamten technischen Einrichtungen des Gran Teatro del Liceo di Barcelona erneuert. In Heft 3 der BTR wurden die Arbeiten ausführlich dargestellt.
Desgleichen gab es einen Bericht über das Wettbewerbsergebnis des Wiederaufbaus des Großen Hauses in Dortmund.
Die Wiedergabe des Vortrages von Dr.-lng. Werner Gabler, in Heft 1 der BTR Akustische Gesichtspunkte beim Entwurf und Bau von Bühnendekorationen gehalten auf der 4. Vortragsreihe Theatertechnik 1954 fand reges Interesse, da er anhand verschiedener Praxisbeispiele sehr gewissenhafte Analysen erstellt und mit Zeichnungen und Abbildungen belegt hatte. Angeregt wurde dieses Thema durch die anhaltende Fachkritik am Großen Haus der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main mit seinen drei gestaffelten Bühnenportalen, die je nach Aufführungsart (Oper, Operette, Musical oder Schauspiel) in verschiedene Funktion traten, aber starke akustische Mängel aufwiesen, die später durch Änderung der Gesamtportalanlage, nur noch zwei Portale mit dazwischengeschalteten Akustikwänden, bessere akustische Eigenschaften erlangte. In engem Zusammenhang mit vorstehendem Vortrag stand ein weiteres in Essen vorgebrachtes Thema: Klimatisierung von Theatergebäuden. Die beim Aufgehen des Hauptvorhanges auf der Bühne entstehenden Luftbewegungen und Luftströmungen, besonders in den vorderen Parkettreihen eines Theaters, wurden ausgiebig behandelt, da sie sehr oft einen Hauptstörfaktor darstellen.
Schließlich gab im gleichen Heft der BTR Prof. Richard Paulick einen ausführlichen Bericht über den Wiederaufbau der Deutschen Staatsoper Unter den Linden, wobei auch die verschiedenen Wiederauf- und Umbauten dieses historischen Baudenkmals seit seiner Entstehung im 18. Jahrhundert ausführlich gewürdigt wurden. Prof. Kurt Hemmerling berichtete über die neu erstandenen technischen Einrichtungen des Hauses; der Technische Direktor Johannes Berndt und der Bühnenbildner Prof. Ludwig Sievert über die Eröffnungspremiere der Meistersinger von Nürnberg.
Von Architekt Prof. K. W Ochs und Ing. Rummel (Technik) folgte ein Bericht über die Vollendung des Wiederaufbaus des Stadttheaters in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz).
Ein dritter Bericht aus der DDR von Prof. K. Hemmerling befasste sich mit dem Wiederaufbau des Landestheaters Sachsen-Anhalt in Halle.
Ein anderes wichtiges Ereignis war die Wiederherstellung des Wiener Burgtheaters im alten Glanz mit moderner Bühnentechnik. Dr. Eugen Hirsch berichtete in Heft 6 der BTR allgemein über den Wiederaufbau des im Krieg völlig zerstörten Theaterbaus, Dipl.-lng. Wolfgang Teubner im Anschluss daran über die neuen technischen Anlagen des Wiederaufbaus. Die dort von Waagner – Biro neuinstallierte Zylinderdrehbühne mit innenliegenden Plateauversenkungen war das non plus ultra dieses Wiederaufbaus und wurde ausführlich beschrieben.
Im gleichen Heft erschien ein weiterer Bericht über den 2. Wettbewerb für den Wiederaufbau des Deutschen Opernhauses Berlin-Charlottenburg, wobei der von Fritz Bornemann eingebrachte Entwurf im Einzelnen vorgestellt wurde, der später auch zur Ausführung kommen sollte.
Zum derzeitig aktuellen Thema in der Theaterwelt: Raumbühne oder Guckkastenbühne äußerte sich der ehemalige Technische Leiter des Schlossparktheaters in Berlin Steglitz, Julius Richter aus seinen Erfahrungen mit Max Reinhardts Inszenierungen von Ödipus, Mirakel, Jedermann, usw. im ehemaligen Großen Schauspielhaus in Berlin in den zwanziger Jahren.
Zum VI. Kongress des Internationalen Theaterinstitutes (ITI) in Dubrovnik fand eine Europäische Theaterausstellung statt, über die Dr. Ingvelde Müller einen ausführlichen Bericht in Heft 4 der BTR. gab. Gleichzeitig wurde über den Kongress berichtet.
In Heft 4 der BTR wurde ein ausführlicher Bericht mit Abbildungen über das neue Fernsehstudio des Senders Freies Berlin (SFB) gegeben und anhand von Abbildungen und Grundrissen eingehend erläutert. So konnte der Theatertechniker ersehen, was zum Ablauf von Fernsehsendungen an örtlicher Studiotechnik benötigt wird und wie die Raumfunktionen zueinander in Beziehung stehen müssen. Der seinerzeitige Rat von Unruh in Heft 5/1951 der BTR:
…zur Abwicklung eines zügig ablaufenden Programms müssen sich die technischen Einrichtungen eines Fernsehstudios weit mehr den Einrichtungen einer Theaterbühne annähern als denen eines Filmstudios…
…war beim Bau der Fernsehstudios in Hamburg-Lockstedt und in München leider nicht befolgt worden, so dass dem Berliner SFB-Studio in dieser Hinsicht besondere Bedeutung zukam. Wegen der Verschiebung einer Theaterausstellung in Essen, bekam die vom September bis Dezember 1955 im Wiener Künstlerhaus durchgeführte Europäische Theaterausstellung 1955 eine besondere Bedeutung für den deutschsprachigen Raum. Sie veranschaulichte den Entwicklungsgang des europäischen Theaters von der griechischen Antike bis zum heutigen Tag, wobei sie sich völlig neuer, dynamischer Methoden bediente. In Heft 6 der BTR wurde darüber berichtet.
Professor Oscar Kokoschka hatte bei den Salzburger Festspielen 1955 mit dem Regisseur Dr. Herbert Graf in der Felsenreitschule Mozarts Zauberflöte inszeniert. Diese Inszenierung wurde in Heft 5 der BTR ausführlich dargestellt und faszinierte durch die originale Eigenart des Spielortes, welche nur durch zurückhaltende Dekorationsmittel an die jeweilige Spielsituation angepasst worden war.
Auch die Inszenierung von Wolfgang Wagners Fliegendem Holländer bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen wurde von Dr. lngvelde Müller im gleichen Heft ausführlich beschrieben, wobei besonderer Wert auf die Verwendung der speziellen Xenon-Beleuchtungskörper durch den Regisseur gelegt und der Einsatz dieser neu entwickelten Geräte detailliert mit entsprechenden Abbildungen erläutert wurde.
Mit diesen letzten Kurzberichten des Theatergeschehens in diesem Berichtsjahr soll dieser Abschnitt abgeschlossen werden. Das Resümee, das daraus gezogen werden kann:
Das Fehlen eines fachgebundenen Verbandes der Theatertechnik war nicht zu leugnen. Gerade durch die rasanten Neuentwicklungen auf allen technischen, aber auch künstlerischen Gebieten des Theaterwesens zeigte sich immer wieder die fehlende Fachkompetenz maßgeblicher Entscheidungsgremien. Den wenigen fachlich versierten Technischen Direktoren, Architekten oder Diplomingenieuren fehlte die Rückendeckung einer Fachorganisation. So waren sie kaum in der Lage, die notwendigen Grundlagen für eine wirtschaftliche und sicherheitstechnische Ausstattung durchzusetzen. Was im Osten mehr oder weniger diktatorisch geschah, scheiterte im Westen an den durch den Förderalismus der Länder bedingten zersplitterten Zuständigkeiten in den unterschiedlichen Behörden.
BTR Ausgaben 1955
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